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16 Meisterwerke
von Hans Happel


"Ich bin gebeten worden, die Pause in der Mitte der CD zu erklären", schreibt Robert Wyatt zu seinem neuen Album "Cuckooland", um dann einen Bogen zu ziehen von seinem Freund Brian Eno zu Mozart: Brian habe ihm gesagt, seine Konzentrationsspanne betrage gob geschätzt 35 Minuten und dies sei wirklich schon eine ganze Menge, denn "wenige Symphonien von Mozart sind länger und der war kein Faulpelz".

Was auch immer Robert Wyatt damit andeuten will, er hält sich selbst für einen Faulpelz: "mehr als einen Song pro Jahr" könne er nicht entwickeln. "Cockooland" versammelt immerhin 16 Titel, 10 hat Wyatt selber geschrieben, meistens in Zusammenarbeit mit seiner Partnerin, der Malerin Alfreda Benge, die darüber hinaus einen eigenen Song beisteuert. Drei Lieder sind von Karen Mantler, sie gehört zu den vielen Freunden, die Wyatt hier unterstützen. Bleiben zwei Klassiker: Das brasilianische INSENSATEZ von Antonio Carlos Jobim und der von Buddy Holly berühmt gemachte Song RAINING IN MY HEART, den Wyatt auf einem Schifferklavier spielt, das er im Londoner Studio seines Produzenten Phil Manzanera gefunden hat.

Herausgekommen ist eine Musik von introvertierter, altersweiser und gleichzeitig welthaltiger Schönheit, ein zerbrechliches und traumverlorenes Klanggewebe, das man ebenso vorsichtig anhören möchte wie man das von Alfreda Benge liebevoll zart gestaltete Booklet mit aller Vorsicht in die Hand nimmt. Das ist minimal-Artwork par excellence: Da werden nicht nur alle Texte mitgegeben, da erscheinen zwischen sonderbaren Notenkritzeleien unentbehrliche Erläuterungen zu einzelnen Liedzeilen und Namen, die keinen Zweifel lassen: Im Kuckucksland von Robert Wyatt sind die politische Realität und das historische Gedächtnis zu Hause, in den leise versponnenen und hellen Linien der Musik erscheinen die Schatten der nicht vergangenen Geschichte:

Das "Lullaby for Hanza" gilt einem Kind in Bagdad, geboren zur Zeit des ersten Irakkriegs, als die Bomben fielen. Und "Forest" erzählt nicht von romantischen Wäldern, sondern von einem ermordeten Zigeunermädchen: der sanfte Song im einschmeichelnden Walzertakt ist Romani Rose gewidmet. Er spricht von einem Gelände in der heutigen Tschechei, auf dem die Nazis ein Konzentrationslager für Sinti errichtet hatten. Die Hühnerfarm, die dort jetzt existiert, hat jede Erinnerung an damals gelöscht.

"Like the sun on the forest / her song rises up, from / the ashes of Auschwitz", singen Robert Wyatt und Brian Eno. Sie verbinden den Namen des Todeslagers von einer Zeile zur anderen mit den Cliffs of Dover, "for those fleeing anti-Roma persecution in presend day of Eastern Europe, it is not a welcoming town" lautet die Anmerkung dazu.

Eins der schönsten Stücke des Albums ist CUCKOO MADAME mit einem rätselhaft fremden Text über eine gewisse Teddybär-Augen, die von Bombern umgeben ist, als Greta Garbo angesprochen wird, und die niemandem von ihrer Schlacht mit dem "cuckoo baby blues" erzählt. Robert Wyatt ist hier ganz allein: Er spielt Trompete, Keyboard und Percussion, er singt solo und entwickelt einen mehrstimmigen Chorsatz, der mindestens so komplex ist wie Brian Wilsons Pet Sounds.

Alle Arrangements sind von einer schlichten Durchsichtigkeit, Akkordeon, Harmonica, Trompete, Posaune sind die vorherrschenden Instrumente, Gitarrensoli steuern David Gilmour und Paul Weller als Gäste bei, Yaron Stavi spielt Kontrabass, Gilad Atzmon Flöte und Klarinette. "Old Europe" heißt der zweite Song des Albums, sein Titel klingt wie eine bissige Replik auf amerikanische Vorhaltungen gegen old Europe. Aber Robert Wyatt polemisiert nicht, er erzählt eine Geschichte, musikalisch im klassischen Kurt Weill-Stil: Sie handelt von den Jazz-Kneipen im Paris der Nachkriegszeit, von Juliette (Greco) und Miles (Davis), die sich dort 1949 getroffen und geliebt haben, er erzählt von einer Romanze, die - so wiederum die kleine, listige Anmerkung - "flourished in 'Old Europe', but fell apart in New York".

Man müsste, um gerecht zu sein, von jedem dieser Songs sprechen, es sind dichte kleine Meisterwerke von einer Intensität, einer Wärme und Verspieltheit, die die Pause mitten in der CD fast notwendig erscheinen lassen: Denn wer sich auf diese Musik einlässt, wird mit Haut und Haaren in sie hineingezogen.

Thomas Gross hat im ZEIT-Literaturmagazin (Oktober 2003) COCKOOLAND zur "schönsten Pop-Platte des Herbstes" erkoren und diesen "Sonderling der britischen Musikgeschichte", der seit 30 Jahren querschnittsgelähmt ist, einfühlsam porträtiert.

"Er gerät, unausgesetzt rauchend, ins Dozieren. Strawinsky, Chagall, Bartok, Weber, Buddy Holly und Miles - das seien ja nie Spartenvertreter gewesen, sondern schlicht und einfach Bewohner der Geisterrepublik in seinem Kopf. Man muss sie rufen, damit sie kommen, doch sind sie einmal da, lebt es sich äußerst anregend mit ihnen."

"Robert Wyatt: Cuckooland"
ist ein Beitrag von Hans Happel für CD-KRITIK.DE
© Hans Happel, 01. November 2003

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