Eigentlich passiert gar nichts Besonderes. Eine Akustikgitarre beginnt, eine Stimme setzt ein, nach einer halben Minuten kommt der Rhythmus dazu (Bass und Schlagzeug), dann ein Keyboard. Der Blues ist zum Greifen nah, und man könnte die dichte Atmosphäre durch spielerische Intermezzi mit Trompete oder Saxophon noch betonen, doch deren Aufgabe übernimmt hier überraschend eine E-Gitarre.
Es sind diese kleinen, kaum wahrnehmbaren Details, die ein Album von Lizz Wright zum Ereignis machen. Der beschriebene Auftakt-Song hat dabei die Funktion des Türöffners: Er baut die Stimmung auf, die mit den nachfolgenden Songs erweitert, variiert, verstärkt wird - in einer beeindruckenden Mischung aus Soul, Blues, Jazz und Gospel - aber auch Folk, Country und Pop.
Wie schon auf ihren vorigen Alben ist Lizz Wright auch auf "The Orchard" im Moment der größten Zurückhaltung ihrer Begleiter am besten. Aufwändige Arrangements würden die Strahlkraft ihrer Stimme nur beeinträchtigen, und so beschränkt sich Produzent Craig Street darauf, ihr einen roten Teppich aus Klängen zu bereiten, auf dem sie, und nur sie, die Hauptrolle spielt.
Um diese bezaubernde Wirkung zu erzielen, müssen die Songs noch nicht einmal besonders raffiniert sein. Schon "Dreaming wide awake" bestach durch die "klaren Melodien, deren Größe gerade in ihrer Schlichtheit liegt", wie Hans Happel in seiner Rezension auf cd-kritik.de schrieb. Das gilt uneingeschränkt auch für "The orchard", und zwar unabhängig davon, ob sie die Lieder selbst schrieb oder die Songs anderer covert.
Auf "Dreaming wide awake" war es ein früher Beatles-Song, der die Aufmerksamkeit auf sich zog ("A taste of honey"), auf "The orchard" ist es ein alter Ike & Tina Turner-Titel: "I idolize you". Lizz Wright verwandelt die Vorlage in einen exquisiten Jazz/Blues-Song, und ihre Interpretation - sorry, Tina - schlägt das Original um Längen. Auch der Schlusssong ("Thank you", eine Led Zeppelin-Komposition) unterstreicht die Vielseitigkeit von Lizz Wright. Gerade erst hatte sie sich noch an einem Tribute-Album zu Ehren von Ella Fitzgerald beteiligt - Zeichen für die enorme Spannbreite ihrer Fähigkeiten.
Den eigenen Kompositionen, die sie überwiegend gemeinsam mit der Songwriterin Toshi Reagon schrieb, wünschte man dagegen manchmal etwas mehr Mut zum Experiment, man erkennt in ihnen zwar die Suche nach einem eigenen stilistischen Ausdruck, es fehlt ihnen jedoch das Unverwechselbare, das die Autoren der von ihr gecoverten Songs auszeichnete - abgesehen natürlich von der pointierten Gesangsstimme, die auch noch der schlichtesten Komposition Wärme, Kraft und Leben einhaucht.
So bleibt Lizz Wright vor allem eine herausragende Interpretin mit einem überwältigenden Gespür für die zeitgemäße Umsetzung großer Kompositionen. In ihnen bewegt sie sich mit stolzer Souveränität, wie eine Gärtnerin inmitten der Pflanzen ihrer Plantage ("The orchard"), sie lässt die Songs mit großer Liebe blühen und reifen, und dank der besonders einfühlsamen und behutsamen Pflege kann man ihnen beim Wachsen zuhören.
© Michael Frost, 12.03.2008
Nachtrag:
Das Video zeigt einen Auftritt von Lizz Wright im Amsterdamer "Paradiso".