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Falsche Fährte
von Hans Happel


Da steht ein schmaler Mann auf einer Deichkrone. Er trägt einen orangenen, goldfarben verzierten Mantel, ein Kostüm, das an ferne Hippie-Tage erinnert. In den Händen ein Tenorsaxophon, die aufgewühlten Haare zeigen den Wind an, der ihm ins kantige Gesicht bläst. Er heißt Stephan Max Wirth und sämtliche Fotos auf dem Faltblatt seiner neuen CD "Illumination" variieren dieses Motiv: Ein Musiker allein in der Landschaft.

Ein unverschämt selbstbewusstes Porträt, das auf eine falsche Fährte lockt. Denn der Meister und Motor des "Stephan-Max Wirth Ensemble" ist kein penetranter Guru, sondern als Komponist und Instrumentalist ein hochbegabter und aufregender Musiker, der schon mit dem ersten Tönen des Auftakt- und Titelstücks "ILLUMINATION" aufhorchen lässt: Ein singend-schwebender Klang wird da entfaltet, eine weit ausschwingende Kantilene, in der Saxophon und Obertonstimme sich begegnen und jenes Ferne-Gefühl erzeugen, das sofort in die Musik hineinzieht.

Dieser Komponist spielt ausgesprochen selbstbewusst mit Formen und Klangfarben, die Erinnerungen wecken und den Eindruck, hier will ein deutscher Jazzer noch einmal an die späten 60-er Jahre anknüpfen, an Zeiten, in der Jazzmusik zunehmend nach Fusionen mit anderen musikalischen Sprachen suchte, in der John McLaughlins Mahavishnu Orchestra allerlei Aufregendes aus Indien mitbrachte oder Miles Davis, Wayne Shorter und Joe Zawinul mit dem elektronischen Sound von "Bitches Brew" Brücken zwischen Jazz und Rock schlugen.

Aber Stephan-Max Wirth ist kein Epigone, er kopiert nicht, seine neun Stücke - allesamt Eigenkompositionen - greifen auf die Geschichte der Jazz-Fusionen zurück, um einen eigenen neuen Weg zu finden. "DESERT WALK" heißt ein zentrales - und mit knapp 11 Minuten das längste - Stück des Albums. Im dazu gehörenden "INTRO" schwingt etwas erfrischend Neues im sandigen Rauschen des Saxophons mit, und die Obertonstimme des in Asien ausgebildeten Kehlkopfsängers Simon Jacob Drees erzeugt jene Farbigkeit, die dieser Musik Weite und Ferne gibt. Wirth arbeitet mit einfachen, prägnanten Melodien, die den Ensemble-Mitgliedern sehr viel Raum zur solistischen Entfaltung geben.

Er hat ebenbürtige Instrumentalisten um sich herum versammelt, darunter die großartige Julia Hülsmann am Fender Rhodes Piano, die hier ebenso dezent groovend wie entschieden solistisch ins Spiel eingreift. Das gilt auch für den Gitarristen Frank Wingold, der seine souverän gesetzten Soli mit rockigen Riffs anreichert. Der niederländische Drummer Marcel van Cleef, der Percussionist Eddy Cichosz und der Bassist Stefan Weeke ergänzen diese Formation mit einer nuancenreichen rhythmischen Vielfalt, die sowohl die Hochgeschwindigkeitsphasen wie auch die lässigen Latino-Rhythmen (in LISBOA) oder den langsamen Wüstenweg mühelos bewältigt.

Das ungewöhnliche Klangfarbenspiel dieses Ensembles ist nur der Rahmen, in dem sich die Musiker ganz selbstverständlich und konventionell als Solisten bewegen. Aber was häufig formelhaft steif wirkt, bleibt hier stets lebendig: Wirth treibt seine Musiker an, der Saxophonist zitiert beiläufig Charlie Parkers Bebop-Sprünge oder Charlie Marianos lyrische Weisen, sein Ensemble - in der klassischen Formensprache nicht minder bewandert - lässt sich wunderbar locker und leicht treiben, diese gemeinsamen ILLUMINATIONEN sind unterhaltsam und intelligent zugleich.

Durchaus undeutsch, ließe sich polemisch sagen, - aber warum kleidet sich der 36-jährige Stephan Max Wirth fürs Cover angestrengt als Junghippie, der fast trotzig gegen den Wind blickt? Was solls! Das grelle Kostüm erinnert an die Beatles-Uniformen aus Sgt. Peppers seligen Tagen, wie auch die Sitarklänge von Frank Wingold, mit denen Wirth seinen Farben auf dem Weg durch die Wüste noch mehr Leuchtkraft gibt.

Stephan-Max Wirth Ensemble - Illumination
(Bos.Rec. 216-04/ Vertrieb: JARO Medien)

© Hans Happel, 21. November 2004

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