Bereits mit ihrem Debüt "Love & Youth" (2005) wurde Jenny Wilson zu einer der größten Hoffnungen der schwedischen Alternative-Pop-Szene. Auf dem Cover inszenierte sie als Halbschwester von Marilyn Manson, doch musikalisch ging sie komplett andere Wege.
Jenny Wilson begeisterte mit einem Mix aus folk-inspirierter Akustik, Euro- und Electropop; traditionelle, fast harmoniesüchtige Songstrukturen einerseits, schräg-schrille Brechungen durch Gesang oder Arrangements andererseits. So avancierte sie zum Hit auf den schwedischen Sommerfestivals und in den Hallen der nordischen Nachbarländer, doch auch in Deutschland erhielt "Love & Youth" begeisterte Kritiken.
Dass sie sich für "Hardships", ihr nun zweites Album, erneut in Positur brachte, überrascht wenig: Jenny Wilson ist auch Meisterin der Selbst-Inszenierung. Die Coverart ist diesmal s schwarz-weiß - mit goldener Schrift. Jenny Wilson stilisiert sich als enge Verwandte von Bonnie & Clyde, sogar mit altertümlichem Holzgewehr.
"Freedom ist running in my blood", wird sie im Lauf des Albums singen ("Clattering hooves"), und man ihr den unbändigen Freiheitsdrang jederzeit ab, andererseits ist man hingerissen von ihrer Art, mit Klischees zu spielen. Der Videoclip zu "Like a fading rainbow" beginnt mit einem harmlosen Spaziergang durch schwedische Wiesen, doch im Verlauf entwickelt sich ein Setting aus Tribal Dance und Mankell-Verfilmung.
Videolink: Jenny Wilson "Like a fading rainbow" / youtube
"Hardships" etabliert Jenny Wilson als Pop-Interpretin mit geradezu sensationellem Gespür für Arrangements und Melodie. Anders als auf "Love & Youth" setzt sie dabei ausschließlich auf akustische Instrumente, wobei sie den Schwerpunkt auf das Zusammenspiel von Percussions, Bass und vertrackten Gesangspartien (oft bis zum Chorformat ausgedehnt) legt. Die Fokussierung auf Rhythmus und wechselnden Gesang eröffnet schließlich die überraschende Erkenntnis, woher Jenny Wilson ihre musikalischen Ideen bezieht, nämlich aus der Gospel- und Soul-Tradition, die sie zu einer Art skandinavischen Variante weiter entwickelt: Nordic Soul. Hier entleiht sie manch große Geste, wenn sie sich beispielsweise zwischendurch ans Klavier setzt und ihr beschwörendes Mantra intoniert: "You're gonna find what you search".
Dabei gelingt es ihr, aus wirklich jeder Situation ein musikalisches Highlight zu zaubern, wie sie jüngst anlässlich eines Features im norwegischen Fernsehen unter Beweis stellte: Dort wurde der "Hardship"-Song "The wooden chair" nicht etwa im Sendestudio, sondern in einer Tischlerei in Oslo aufgenommen. Die Percussions wurden kurzerhand durch Werkzeug und -stücke ersetzt:
Videolink: Jenny Wilson "The wooden chair"
In einem Umfeld, in dem Kolleginnen wie Tori Amos oder Kate Bush sich ins Ätherische verlieren, Madonna zur Ikone erstarrt und andere Songwriterinnen ernst und berufsbetroffen wirken, wird Jenny Wilson zur Rock-Diva aus Fleisch und Blut, die mit engen Leggings, breitem Hut und schriller Attitüde ihr Konzert-Publikum zum Kochen bringt. Dass ihre brilliante Live-Band fast ausnahmslos aus Frauen besteht, verstärkt interessanterweise den Eindruck ihrer absoluten Unabhängigkeit - die Haltung, die sie letztlich wohl auch dazu brachte, zur Veröffentlichung von "Hardships" eine eigene Plattenfirma zu gründen, die sie in der ihr eigenen Mischung aus Selbstbewusstsein und Selbstironie "Gold Medal Recordings" nannte.
Dennoch: Wäre "Hardships" eine sportliche Leistung, die Goldmedaille wäre verdient. Denn Jenny Wilson ist eine der größten Hoffnungen der europäischen Musikszene. Vor ihr liegt eine große Karriere. Es wird also Zeit, dass "Hardships" auch außerhalb Skandinaviens voröffentlich wird.