Die
neue CD von Cassandra Wilson beginnt mit "Fragile",
einem der meistgecoverten Songs von Sting, der hier wie eine
routinierte Pflichtübung klingt, und sie endet mit einer
Sensation: "Throw it away", ein Lied der legendären
Jazz-Musikerin Abbey Lincoln, ist ein Zwiegespräch zwischen
Stimme und Bass, Melodie und Text sind prägnant und schlicht
wie ein Kinderlied, die Aufnahme ist ein Lob der Einfachheit,
an die Cassandra Wilson sich mehrfach herantastet.
"Glamoured"
heißt die CD, und Cassandra Wilson sagt zu diesem Titel:
"Glamoured ist ein gälisches Wort, das soviel wie
"fortgehuscht sein" bedeutet. Es ist dieser Zustand
wie in einem Tagtraum, diese Sekundenbruchteile, wenn du wie
versteinert bist, deine Augen sich nicht bewegen und du dich
wieder wachrütteln mußt."
So
klingt ihre Stimme ja immer: Als müßte sie wachgerüttelt,
von Drums und Percussion angetrieben werden, damit sie sich
endlich erhebt oder in noch tiefere Tiefen fällt.
Die
Aufnahmen auf "Glamoured" sind zum größeren
Teil in Cassandra Wilsons Heimat, - in Jackson, Mississippi
- eingespielt worden. Damit kehrt sie - wie schon mit ihrem
letzten Album "Belly of the sun" (2002) - wieder
ins Land des Blues zurück. Es ist ein dunkles Land, voller
düsterer, melancholischer Töne, aber auch so direkt
und fast hart im Ton wie der Muddy-Waters-Song "Honey
Bee".
Die
Aufnahmen sind später in New York "aufpoliert"
worden, wie es im Presse-Info heißt. Dort hat Cassandra
Wilson in Zusammenarbeit mit dem Produzenten und Gitarristen
Fabrizio Sotti "die Platte vollendet", wie sie sagt.
Hinzugekommen sind mehrere Eigenkompositionen und als Eröffnungssong
"Fragile".
Herausragend
ist die bewegte und filigrane Percussionarbeit, mit der die
Schlagzeugerin Terri Lyne Carrington in "I want more"
Cassandra Wilsons schleppende Stimme geradezu antreibt. Aber
tiefer und ausdrucksstärker sind die Mississippi-Songs,
darunter eine ungewöhnliche - und ungewöhnlich schöne
- Version von Bob Dylans "Lay Lady Lay" und "Crazy",
ein frühes Stück des Nashville-Komponisten Willlie
Nelson. Diese Aufnahme, erzählt Cassandra Wilson, entstand
"am Ende der Session. Jeder will raus und alle sind sehr
müde, die Aufmerksamkeit ist sehr herabgesetzt. Es ist
eine bestimmte Art hemmungsloser Nachlässigkeit, die
durch die Interpretation der Musik schleicht."
Es
sind vor allem prägnante, liedhafte Songs, und es sind
transparente, sparsame Arrangements, die zumeist von langjährigen
Weggefährten eingespielt wurden sind, darunter Brandon
Ross (Gitarre), Jeffrey Haynes (Percussion), Gregoire Maret
(Harmonika), Reginald Veal und Calvin Jones (Bass), Herlin
Riley (Schlagzeug).
Den
freien Fall in eine tiefe Intimität wagt Cassandra Wilson
mit dem letzten Stück des Albums, in dem sie nur der
Bassist Reginald Veal begleitet: "Throw it away"
ist eine Verbeugung vor ihrer Lehrerin Abbey Lincoln, für
die die Musik "heilig" und politisches Engagement
zugleich ist: "Bei ihr gibt es überhaupt keinen
Zuckerguss", hatte sie schon vor Jahren von ihr gesagt,
"ihre Melancholie ist kühl und dabei sehr machtvoll".
Kein
Zuckerguß und kühle (aber keine kalte) Melancholie
- das läßt sich von Cassandra Wilsons "Glamoured"
sagen, die immer tiefer in sich hineinzuhören scheint
und dabei immer einfacher und ruhiger wird, aber sich noch
nicht recht entscheiden kann, wohin sie gehen will, und nicht
unbedingt weiß, wohin der Zug fährt, auf den sie
aufgespungen ist.
"On
the train" heißt die letzte Eigenkomposition dieser
CD, bei der ihre Band den monotonen Gleichlauf der Eisenbahngeräusche
und die blowin whistle imitiert. "I dont care, where
the train is going", singt sie. Wie auch immer - die
große Vokalistin ist wieder unterwegs.
"Cassandra
Wilson: Glamoured"
ist ein Beitrag von Hans Happel für CD-KRITIK.DE
© Hans Happel, 04. Oktober 2003