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Träumen statt kämpfen


Hannes Wader, so sieht er sich selbst, ist der Liedermacher "der kleinen Leute". Vor Jahren - besser: Jahrzehnten - wurde er als solcher mit seiner Schallplatte (in der Prä-CD-Ära) "Arbeiterlieder" sogar richtig berühmt. Seine Lieder wurden zu poetischen Hymnen der Friedensbewegung. Und heute? Seine weiterhin zahlreichen Anhänger zürnen ihm das fehlende politische Bekenntnis, wähnen den resignierten Rückzug ins Private, nachdem Wader in den vergangenen Jahren eher verhalten Sozialkritik geäußert habe.

Diesen Umstand thematisiert er auf seiner neuen CD nun selbst. "Politik" heißt der Eröffnungssong zu "Mal angenommen": "Freunde, die behaupten, dass sie's gut mit mir meinen // sagen Hannes, Mensch, schreib doch mal endlich wieder einen politischen Song, oder ist es dir egal // was dein Publikum von dir erwartet ..." Suffisant entwickelt ein düsteres Szenario: Was, wenn sein Publikum sich enttäuscht von ihm abwandte, seine CDs nicht mehr kaufte, seine Konzerte miede? Und schon sieht Wader eine Karriere als Spargelstecher vor sich: "Ihr könnt mich alle mal - statt zu mir ins Konzert zu gehen - für einen Euro Stundenlohn beim Spargelstechen sehen // Setzt um der alten Zeiten willen euer Geld auf mich // wenn ihr wettet, wer wohl schneller ist - die Polen oder ich?"

Die Logik ist zynisch. Um den sozioökonomischen Absturz in die Welt der "kleinen Leute", der Hartz-IV-Empfänger, der Ein-Euro-Jobber und Saisonarbeiter zu vermeiden, muss er für sie singen - und ihre Erwartungen befriedigen: "Wes Brot ich ess', des Lied ich singe // Das gilt auch für mich und das, was ich bringe // Denn von Anfang an bis heute // esse ich das Brot der kleinen Leute // also singe ich ihr Lied."

Tatsächlich ist das Gegenwärtige nicht seine Sache. Islamistischer Terror, Gesundheitsreform, Arbeitsmarktpolitik, EU-Erweiterung, Mehrwertsteuer und Autobahngebühren sind für ihn, den Liederdichter, zu technisch, zu wenig greifbar, als dass man sie in Versen behandeln könnte. Und so kehrt Hannes Wader auf "Mal angenommen" lieber - und besser - zu seiner eigentlichen Stärke zurück, indem er sich auf die Idee des linken Volkslieds besinnt und aus der Historie Analogien der Gegenwart schöpft. "Der hölzerne Brunnen" ist dafür ein Paradebeispiel. Wader entwickelt das Lied anhand eines Gemäldes, das französische Revolutionssoldaten in den Vogesen während der Rast an einem Holzbrunnen zeigt: "Es wird Mittag, durch das Laub dringt warmer Sonnenschein // lässt den Wein im Glase leuchten // Nun brecht das Brot, schenkt ein // dann gebt mir die Gitarre ..."

"Mal angenommen" ist, abgesehen von dem Eröffnungssong und "Trotz alledem III", zwar kein unpolitisches, aber vor allem ein sehr privates Album. Wader vermied weitestgehend den Aufenthalt im Studio, sondern spielte die Lieder im heimischen Wohnzimmer ein. Das intime Ambiente passt zum Sujet. Denn Mittel- und Schlusspunkt zugleich ist ein Lied, das vielleicht eines Tages als Schlüsselwerk zu Waders Werk bezeichnet wird: "Familienerbe", sechzehn Minuten lang, in dem Wader die Geschichte seiner Vorfahren bis tief zurück in das neunzehnte Jahrhundert entwirft. Er erzählt darin auch die Geschichte der Arbeitervereine und der SPD: "War meinen Ahnen auch die SPD noch Sinn und Hintergrund ihres Daseins ...", singt Wader zusammenfassend, um jedoch selbst zu der Erkenntnis zu gelangen: "... weiß ich jetzt im Jahr Zweitausendund..., dass die Partei für mich als Heimat niemals zur Debatte stand."

Wader dagegen hatte seine Heimat 1977 in der DKP gesucht, die er 1991, nach dem Zusammenbruch des SED-Regimes in der DDR, wieder verließ. Seither schlägt er leisere Töne an, er kämpft nicht mehr, sondern träumt: "Ein Sozialismus müsste her // mit neuem Schwung und alledem // denn wenn er wie der alte wär' // würd's wieder nichts // trotz alledem // Und obwohl sich so ein Wunsch wohl kaum // erfüllen lässt, schützt uns der Traum von einer bess'ren Welt, vor der Resignation - trotz alledem" (Trotz alledem III).

Da ist er also doch noch, der eine politische Satz, auf den die Fans offenbar so sehnsüchtig gewartet haben, und wie gern würde man ihn sich zu eigen machen. Doch jetzt, wo er da ist, klingt der Satz so seltsam hölzern und pathetisch, und irgendwie noch nicht einmal sonderlich verlockend. Da ist einfach zu viel Gestern in der Stimme.


© Michael Frost, 08. Januar 2006


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