Sie
sind Puristen im besten Sinn des Wortes: Sie machen eine Musik,
deren Linien und Melodien mit einer Leichtigkeit dahinschweben,
als könne es niemals ein Zuviel, ein Zerfließen,
eine irdische Schwere geben.
Fünf
herausragende Musiker der Jazz-Geschichte, allesamt stilbildend,
haben sich für das Album "Universal Syncopations"
zusammengetan und Kompositionen des Bassisten Miroslav Vitous
eingespielt. Der Titel des Albums und die weitläufig
aufgerissene Wolkenwand auf dem Cover zeigen an, wohin die
Reise geht, über die die Musiker kein Wort verlieren:
das Booklet enthält nur ihre Fotos und die Namen der
neun Stücke.
Der
in Prag geborene Bassist Miroslav Vitous - neben Wayne Shorter
und Joe Zawinul Mitbegründer von Weather Report - hat
Jan Garbarek, Chick Corea, John McLaughlin und Jack DeJohnette
eingeladen. Es sind Großmeister des Modern Jazz, die
musikalischen Kinder jener Generation, die den Jazz in den
Rang einer klassischen Kunst, eines universellen Welterbes,
erhoben hat.
Sie
haben ihre Väter - Miles Davis, John Coltrane und Co.
- noch kennengelernt, sie haben noch mit ihnen zusammen gespielt,
sie sind danach eigene und neue Wege gegangen, die sie zu
elektronischen, Jazz-Rock&Weltmusik-Fusionen oder zu religiös
inspirierten Klangwelten geführt haben.
Und
was machen sie hier? Sie kehren zu ihren musikalischen Wurzeln
zurück, ohne ihren langen Weg durch die letzten Jahrzehnte
zu verleugnen. Wie Keith Jarrett in "Inside Out"
(2001) mit seinem Standard-Trio einen Aufbruch gewagt hat
(in die Befreiung vom klassischen Material), und wie Wayne
Shorter mit "footprints" (2002) seine eigenen Klassiker
so eingespielt hat, dass sie für Jahrzehnte frisch bleiben,
so wird hier ebenfalls ein Meilenstein vorgelegt: Die fünf
Musiker, die in unterschiedlichen Formationen immer wieder
zusammengespielt haben, formulieren in "Universal Syncopations",
was für sie die Essenz des Jazz ist.
Sie
spielen ebenso intellektuell wie emotional, ebenso intensiv
wie gelassen, und der Komponist Miroslav Vitous sorgt für
ein formal geschlossenes Klangbild, das seinen sehr verschiedenartigen
Stücken den Charakter einer 9-teiligen Suite gibt.
Am
Anfang und am Ende stehen weitgeschwungene simple melodies,
denen Jan Garbarek mit seinem klaren und warmen Saxophonton
jenen lyrischen Schmelz gibt, der bei ihm niemals ins Sentimentale
umkippt. Jack DeJohnette bleibt mit seinen feinnervig elastischen
Drums diskret im Hintergrund, um gelegentlich in eleganten
Wendungen nach vorn zu kommen.
Chick
Corea tritt im 11-minütigen "Univoyage" auf
den Plan. Mit seinem "kantigen" Anschlag setzt er
vorsichtig Akkord um Akkord, zerlegt das Melodiefragment,
ohne die Teile zu zerreissen. John McLaughlin wärmt das
unterkühlte Stück mit leicht perlenden Gitarren-Läufen
auf, und Jack DeJohnette wickelt es in sanftes Beckenrauschen.
Eine
Brass-Gruppe (Wayne Bergeron, Valerie Ponomarev, Trompeten,
und Isaac Smith, Posaune) setzt in mehreren Stücken den
musikalischen Rahmen, auch dies: in aller Leichtigkeit, minimalistisch,
wie hingehaucht. Vitous lenkt seine Gefährten, ohne ihnen
ihre Individualität zu nehmen: Mit seinem virtuos singenden
Bass übernimmt er häufig den Melodiepart, gibt vor,
treibt an und unterlegt, was von den anderen aufgegriffen
wird.
Vielleicht
verrät der Titel "Miro Bop" das Geheimnis dieser
Musik: Sie ist abstrakt und warm zugleich, transparent und
außerordentlich farbig. Ihr Brüche sind stets elegant,
und immer bleibt alles im Fluß. Michael Naura hat in
der Literaturbeilage der ZEIT (vom November 2003) behauptet,
"dass in diesem Ensemble ein genialisches Feuer leuchtet:
Jazz aus Elysium". Und das bezieht sich nicht nur auf
den Höhepunkt dieses Albums, auf den Titel "Beethoven",
den Vitous und Garbarek gemeinsam komponiert haben.
Sie
spielen auf das Finale der 9. Sinfonie an und sie machen aus
dem dissonanten Aufschrei, mit dem Beethoven den Schlußsatz
eröffnet, ein Wechselgespräch zwischen Bass und
Saxophon. Nein, hier wird nicht Note für Note zitiert
- und schon gar nicht jenes bis zum Schager zerschlissene
"Freude, schöner Götterfunken" -, hier
wird sehr verspielt und eher introvertiert ein musikalischer
Gestus nachempfunden, und wer auf diese Weise an die Tür
des Meisters klopft, der weiß, mit wem er sich mißt.
"Jazz aus Elysium" ist ein wahres Wort!
"Miroslav
Vitous: Universal Syncopations"
ist ein Beitrag von Hans Happel für CD-KRITIK.DE
© Hans Happel, 13. Dezember 2003