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New Yorks
Stadtschreiberin


Wenn die politischen Krisen und die Folgen militärischer Interventionen sich weiter zuspitzen und womöglich noch ausdehnen, wird man eines Tages vermutlich im Rückblick von den Epochen vor und nach "9/11" sprechen: der Anschlag auf das World Trade Center wäre dann tatsächlich das Ereignis, nach dem nichts mehr ist wie vorher.

Für die Bevölkerung von New York ist diese Zäsur bereits unauslöschlicher Teil ihrer Biografie, und die vielen Künstlerinnen und Künstler, die sich der Stadt verbunden fühlen und ihrem Lebensgefühl Ausdruck verleihen, zeugen von dem Trauma der New Yorker.

Das gilt sicherlich auch für Suzanne Vega, deren letztes Album "Songs in red and gray" knapp vor dem 11. September 2001 fertig war und zwei Wochen nach dem Anschlag erschien. Zu dem Ereignis konnte es deshalb keinen Bezug mehr nehmen. "Es war merkwürdig", sagte Suzanne Vega später, "in dieser Ausnahmezeit für New York über persönliche Angelegenheiten reden zu müssen".

Jetzt, sechs Jahre später, hat sie nachgeholt, was damals aus produktionstechnischen Gründen nicht mehr möglich war. Und so knüpft ihr neues Album knüpft dort an, wo die "Songs in red and gray" aufhörten, nicht nur, weil sie als Titel wiederum zwei gegenläufige Begriffe wählte: "Beauty & Crime" - Antipoden wie auch die emotionale Wirkung von "red" und "gray".

Ihre Songs beleuchten die Stadt in ganz verschiedenen Facetten - und zu verschiedenen Zeiten. "Frank & Ava" nimmt Bezug auf die aufsehenerregende Beziehungsgeschichte der Leinwand-Legenden Frank Sinatra und Ava Gardner, "Edith Wharton's figurines" erinnert an die Romanheldinnen der New Yorker Schriftstellerin - doch abseits dieser bekannten Persönlichkeiten erzählt Suzanne Vega hauptsächlich Persönliches von sich und "ihrer" Stadt, etwa in "Bound", dem Song, der die Geschichte der Liebe ihres Lebens zitiert. Im Booklet findet sich sogar ein rührendes Hochzeitsfoto: "When I said: I am bound to you forever // here's what I meant: I am bound to you forever".

Den deutlichsten Bezug zu den Ereignissen vom 11. September findet man in "Angel's doorway". Vega beschreibt darin einen Polizisten, der seinen Dienst bei den Aufräumarbeiten am "Ground Zero", den Überresten der eingestürzten Zwillingstürme verrichten musste. Vega wählt dafür die Perspektive der Ehefrau, die ihren Mann zum Feierabend ratlos empfängt, wissend, dass er für das Unbeschreibliche keine Worte finden würde: "He can't show // what she doesn't want to know // those things he's seen ..."

In Textzeilen wie diesen blitzt die besondere Gabe der "Songwriterin" Suzanne Vega auf, die auch Jahre nach "Tom's diner" und "Luka" so gar nichts von ihrer poetischen Brillanz verloren hat. Hinzu kommt, dass sie auch diese zutiefst unter die Haut gehenden Momente ganz ohne Pathos oder aufgesetzte Rührseligkeit inszeniert und trotz des ernsten Hintergrunds ungewöhnlich freundlich und melodiös klingt. Ihre ruhige, bedächtige Art macht sie zu einer perfekten Beobachterin, die gleichsam in die Menschen hineinsehen kann und ihre Gemütslage auch für uns nachvollziehbar macht.

Als Stadtschreiberin hilft sie den Menschen in New York, ihr Trauma zu erkennen und womöglich eines Tages zu bewältigen. Den Menschen in anderen Teilen der Welt zeigt sie darüber hinaus die fatale psychischen Wirkung von Krieg und Gewalt auch dort, wo Menschen gar nicht direkt und physisch betroffen sind. Und für alle gemeinsam findet sie am Ende sogar noch hoffnungsvolle Worte: "Make the time for all your possibilities // they live on every street".

© Michael Frost, 16.06.2007

 


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