Die nordische Sagenwelt ist voller seltsamer Gestalten, Götter, Feen und Trolle. Bildgewaltige Geschichten prägen die Legenden, die sich Menschen über Generationen erzählten, und die heute noch etwa in der nordischen Kunst allgegenwärtig sind, auch in der Musik. Gruppen wie "Gjallarhorn" aus Finnland gehören seit Jahren zur Spitze einer Bewegung, die sich schwerpunktmäßig mit diesen alten Mythen und Sagen befasst.
Missverständnisse sind dabei nicht ausgeschlossen: Die dänisch/färöische Band Valravn etwa zog anfangs vor allem Fans mittelalterlicher Rollenspiele an, selbst die Gothic-Szene fand eine Schnittmenge. Doch eigentlich geht es der Gruppe um die färöische Sängerin Anna Katrin Egilstrøð und die Multiinstrumentalisten Martin Seeberg, Søren Hammerlund, Juan Pino und Produzent Christopher Juul um etwas anderes: "Wir versuchen ein Gleichgewicht herzustellen zwischen moderner Electronica und altem nordischen Folk, jeweils sowohl mit neuen und alten Instrument. So versuchen wir Altes in einem modernen Kontext wirken zu lassen."
Entsprechend tobt sich die Band auf ihrem zweiten Album "Koder på snor" mächtig aus. Ihr Sound laut, stark und gewaltig, dabei mysteriös, verspielt und voller phantastischer Geschichten, die man auch dann erahnt, wenn man des Dänischen, Isländischen oder Färingischen nicht mächtig ist. Ähnlichkeiten zu Under Byen, Dänemarks ungewöhnlichster Band aus Århus, sind unvermeidlich, doch deren Sound fußt weniger deutlich auf dem Fundament alter Folkharmonien.
Valravn hingegen lassen diese Basis niemals aus den Augen, und sie unterstreichen die Tradition durch den Einsatz alter Instrumente wie Mandoline, Hurdy Gurdy, schwedischer Nyckelharpa und orientalischen Percussions, die jedoch im Umfeld von Keyboard, Samples und digitalen Beats hochgradig verfremdet wirken.
Die instrumentale Ausgestaltung von "Koder på snor" opulent und ebenso bildgewaltig wie die Geschichten selbst. Die meisten Texte stammen von Bandsängerin Anna Maria Egilstrøð, die sie mit einer beeindruckenden Bandbreite zwischen kindlicher Naivität und dramatischem Gestus interpretiert. Vergleiche, etwa mit ihrer färöischen Kollegin Eivør Pálsdóttir sind hier (vor)schnell gefunden, weshalb sie an dieser Stelle nicht strapaziert werden sollen, und die Band selbst beantwortet die Frage nach ihren Vorbildern ganz unterschiedlich, je nachdem, welchem Valravn-Mitglied sie gestellt wird: "Manche haben eine Nähe zur Mittelalterlichen Musik, andere zur Electronica oder zum Folk - aber das ist genau der Schmelztiegel, in dem etwas Neues entsteht", so Martin Seeberg. Und dieses Neue, das nennt er am liebsten - und gar nicht so abwegig - übrigens "Folktronica".
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Michael Frost, 06.09.2009