Die
Vorgeschichte dieses Albums ist mindestens so interessant
wie seine Musik: Es geht um ein Lied, das in Hamburg längst
Allgemeingut geworden ist, und dessen Refrain "Klaun,
Klaun, Äppel wolln wir klaun" ein Mutmacher für
den FC St. Pauli ist. Es erzählt vom Jung mit´n
Tüdelband, der an de Eck steiht, in de annern Hand´n
Bodderbrot, und wenn he mal so in´t Tüdern kummt
und op de Nees fallt, dann springt er op und seggt: "Ätsch,
hett gornich wehdohn!"
1911 hat Ludwig Wolf, Sohn eines jüdischen Schlachters
aus der Hamburger Neustadt, das Couplet "Een echt Hamborger
Jung" geschrieben. Das Tüdelband-Lied geht auf die
zweite Strophe dieses Couplets zurück. Das Tüdelband
ist ein Metallreifen von etwa 1 Meter Durchmesser, der mit
einem kurzen Stock ins Rollen gebracht wird, ein Spielzeug
in Zeiten, als es nur wenige Autos gab.
Ludwig
Wolf und sein Bruder machten in Hamburg als komisches Gesangsduo
mit schlüpfrigen und ironisch gepfefferten Texten Karriere.
In den 20-er Jahren traten sie in Deutschland und in ganz
Europa als "waschechte Hamburger Jungs" in Hafenarbeiterkluft
auf. Nach dem Bühnenverbot für jüdische Künstler
dürfen die Wolfs ihre eigenen Lieder nicht mehr singen.
Mehrere Familienmitglieder kommen in Konzentrationslagern
ums Leben, ein Großteil der Familie wandert aus. Der
Fluchtweg der Gebrüder Wolf führt über Shanghai
in die Vereinigten Staaten, wo sie erneut auftreten. Sie geraten
in Deutschland in Vergessenheit, das Hamburger Tüdelband-Lied
hat keine Urheber mehr.
Als
im Jahr 2000 der in San Francisco geborene Urenkel Dan Wolf
mit seiner HipHop-Formation "Felonious" ein Konzert
in Hamburg gibt, wird der Filmemacher Jens Huckeriede auf
das Thema aufmerksam. Ergebnis seiner Recherche ist der Dokumentarfilm
"Return of the Tüdelband". Er erzählt
die Geschichte der Gebrüder Wolf aus der Perspektive
des amerikanischen Nachfahren, der die Reise nach Hamburg
antritt, um sich seiner eigenen Geschichte zu vergewissern.
Diese deutsch-jüdische Spurensuche hinterläßt
auf dem gleichnamigen Album "return of the tüdelband"
eine belebende Mixtur aus HipHop, Reggae Techno-Klängen,
Folk und Hamburger Volkslied.
Dan Wolf und Jens Huckeriede haben Kontakte zu allen möglichen
Hambruger Gruppen geknüpft und sie um eigene Versionen
des Tüdelband-Songs gebeten. Hier sind 22 Bearbeitungen
zu hören, durchweg originell, sehr vielfältig im
Umgang mit dem Original, das manchmal kaum mehr wiederzuerkennen
ist, aber gerade darin seine Lebendigkeit erweist.
Dan
Wolf rapt in "Tüdelbomb" auf deutsch und englisch,
es begnügt sich nicht mit einer textgenauen Übersetzung,
er kommentiert das Lied des Urgroßvaters: "We a
nation of refugees from overseas......now we´re on the
same side of fence".
Die
meisten der beteiligten Bands variieren die Geschichte vom
Jungen an der Straße: Bei Kontradiction ist es "ne
Dirne, die die Arsch verkauft", ein echter Kiez-Reggae
im deftigstes Denglish ("If you want some Porno with
your Döner Kebab"). Bei "bernadette la hengst"
geht die Hamburger Deern ebenfalls auf den Strich, und der
Junge an der Ecke ist "n Junge ohne Aufenthalt".
Im
"tüdeldub" von Viktor Marek und Jacques Palminger
wird die alte Geschichte in Worten von heute erzählt,
ein mitreißender, aufwühlender Sprechgesang, der
an Rio Reiser erinnert und wohl nicht zufällig - wie
Ton, Steine, Scherben auf ihrem letzten Album - mit einem
Kinderchor arbeitet. Gewitzt und poetisch zugleich versucht
da einer den andern zum Klettern über verbotene Zäune
zu überreden (weil es dahinter die verbotenen Früchte
gibt), aber der sagt: "Ich schwör dir, da steht
kein einziger Baum mehr, Alter!"
In
anderen Bearbeitungen geht es um Hausbesetzer, Kleine Dealer,
Junkies und Kiffer. Ein rauer Charme weht durch diese Lieder,
ein sympathisches Hamburg von unten wird hier hörbar,
auch in weiteren Couplets von Ludwig Wolf, etwa "De kugelrunde
Deern", das Lied einer verlorenen Seele, die Daniel Huss
zur "Sexy Kröte" umgetauft hat, oder "Dat
Paddelboot", mit dem die Band "station 17 all-stars
tba" beweist, das Schlüpfriges aus Großvaters
Zeiten nicht verstaubt sein muß: "Hannis, zuckersüßer
Hannis du, das Paddeln hast du raus, du stibbst dein Paddel
mit´n Schwung so rein, Hannis, darin bist du groß."
Der zuckersüße Hannis wird natürlich nicht
in Watte gepackt, sondern in schlichten Garagen-RocknRoll
gewickelt und mit Sprechgesang zum Leben erweckt.
Die
Gebrüder Wolf sind wieder da, sie sind bei einer jungen
Generation angekommen - dank des Films und dieses Albums nicht
nur in Hamburg. "return of the tüdelband" ist
ein Weihnachtsgeschenk der besonderen Art. Dass die Geschichte
dieser "heimlichen Hymne Hamburgs" im CD-Booklet
gut dokumentiert ist und alle Songs nachlesbar sind, gehört
zu den Feinheiten dieser außergewöhnlichen Produktion,
für die man dem Trikont-Verlag dankbar sein muß.
Denn er macht ohne jeden Zeigefinger deutlich, wie Geschichte
als Rückbesinnung in die Zukunft im allerbesten Fall
aussehen kann.
"Return
of the Tüdelband"
ist ein Beitrag von Hans Happel für CD-KRITIK.DE
© Hans Happel, 06. Dezember 2003