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Reiseführer


Compilations italienischer Musik gibt es wie Sand am Strand von Viareggio. Gemeinsam haben sie in aller Regel eines: sie sind unerträglich und für einen deutschen Markt produziert, der vor allem im Sinn hat, unser groteskes Italien-Bild zu zementieren. Deutsche sind seit jeher von Italien fasziniert und abgestoßen zugleich: Wir lieben das Land, "wo die Zitronen blühen" und gleichzeitig verachten wir die vermeintliche Unregierbarkeit, das Chaos, dagegen bewundern wir die mediterran-lässige Lebensart und das charmante "dolce far niente", das "süße Nichtstun" - aber nur so lange es in Italien selbst stattfindet, wehe dem, das Phänomen wird bei uns aufgetan.

Fazit: Wir lieben Italien, aber wir haben Angst vor der subersiven Kraft italienischer Lebensart oder was wir dafür halten, weil sie unsere preußischen Werte bedroht und unsere Ordnung zum Einsturz bringen könnte. Trösten kann uns nur, dass das Verhältnis umgekehrt genauso ambivalent ist ...

Unserem oberflächlichen Wissen entsprechend geben wir uns auch mit seichter Unterhaltungsmusik Marke "Italo-Pop" zufrieden, die unsere Stereotypen festigt. "Italo-Sampler", vollgestopft mit den üblichen Verdächtigen zwischen Al Bano und Romina Power, Ricchi & Poveri, Toto Cotugno und ständig neuen Versionen von "Volare", gibt es auf jedem Ramschtisch zum Schleuderpreis. Italienische Restaurants in Deutschland haben sich vielfach dem Landesgeschmack angepasst (nicht nur in Bezug auf das Ertränken der Speisen in Sahnesoßen) und lassen Ramazzotti im Repeat-Modus laufen. (Der Autor bekennt resigniert, mittlerweile so konditioniert so sein, überhaupt nur dann noch essen zu können, wenn im Hintergrund Ramazzotti läuft bzw. von unerträglichen Hungergefühlen ereilt zu werden, sowie Ramazzotti in Funk oder Fernsehen zu singen beginnt...)

Abhilfe schafft da die Compilation "Travellin' Companion 2 - A musical journey to Italy", die zwar auch nicht ohne Gondeln auf dem Cover auskommt, musikalisch aber einiges zu bieten hat, was unbedingt auf offene Ohren stoßen sollte.

Gleich zu Beginn macht sich die Band Folkabbestia in einer Mischung zwischen Pogues- und Tote Hosen-Sound über das durch Adriano Celentano bekannt gewordene "Azzurro" her, dass es eine wahre Freude ist, und stürzt damit den Inbegriff des Canzone in seiner mitschunkelnden Fassung vom Sockel.

Mau Mau mit ihrer schonungslosen Beschreibung des Lebens von Armen und Obdachlosen schließen sich an, jeden Anflug von Romantik zu vertreiben, während Novalia mit akustischen Instrumenten und elekronischen Samples eine aktuelle Variante zwischen traditionellem Folk und modernem Rock präsentieren, wie sie, erweitert um Trance- und Ambient-Elemente auch von der sizilianischen Band Agricantus vertreten wird.

So wird die Reise durch die musikalischen Landschaften Italiens fortgesetzt und ständig durch neue Facetten erweitert, sei es durch durch die sardische Gruppe "Càlic", den Akkordeonisten Mario Salvi, der sich mit neapolitanischer und apulischer Tarantella ebenso einen Namen macht wie der Multi-Instrumentalist Daniele Sepe, der darüber hinaus in vielen anderen Genres zu Hause ist. Mit den "Tammurriata di Scafati" ist auch eine Gruppe aus Neapel mit traditioneller Straßenmusik vertreten, in der das harte Leben und die Ausbeutung der Arbeiter erzählt wird.

Auch der Beitrag der Roma zur italienischen Kultur wird in zwei Titeln gewürdigt, so dass sich durch die insgesamt sehr kluge und absolut gelungene Auswahl ein sehr schlüssiges und umfassendes Bild vom italienischen Folk der Gegenwart ergibt - wahrhaft ein unverzichtbarer Reisebegleiter, von dem man sich weitere wünschen würde !

MF / 28.07.2001

Titel-Liste:

1. Folkabbestia: "Azzurro",
2. Mau Mau: "Makè manà",
3. Novalia "Perzu pe 'na creuza de ma",
4. Agricantus "Carizzi r'amuri",
5. Mazapegui "Bandido",
6. Càlic "Cap-Caldaru",
7. Mario Salvi "Non c'è rosa senza spine",
8. Tammurriata di scafati "È scappato o' leone",
9. Acquaragia Drom "Tromba de' zingari",
10. Ziganamama "Sirba de la Transylvania",
11. Daniele Sepe "Raggatruffen",
12. Nidi d'Arac "Pipe, Canella e Mmacarie",
13. B.E.V. "Manfrine nove",
14. Barabàn "La brunetta",
15. Marino de Rosas "Mediterraneo",
16. Riccardo Tesi + Banditaliana "Tevakh",
17. Calicanto "Venessia dai"

Möglichkeiten zum Bestellen und zum Hineinhören
in die Titel des Albums gibt es bei Weltwunder.com}