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Ein Geschenk
des Himmels


Schon ihr letztes Album "Bowmboï", dessen Veröffentlichung bereits fünf Jahre zurückliegt, war eine Offenbarung nicht nur für alle Freunde ambitionierter Weltmusik. Denn Rokia Traoré ist keine Traditionalistin im konservativen Sinne, sondern eine fortschrittliche Musikerin, die spannende Experimente wagt, indem sie unterschiedliche Ideen in ihren Songs zusammenfließen lässt. Ihr Interesse gilt dabei auch nicht so sehr einzelnen, besonderen oder vermeintlich gegensätzlichen Kulturen: Ihr Sound folgt ihrem eigenen, individuellen Ausdruck, und genau diese persönliche Stärke macht Rokia Traoré zu einer der interessantesten Künstlerinnen derzeit überhaupt.

Mit "Tchamantché" setzt die Musikerin aus Mali ihren Weg fort. "Ich kann nicht sagen, welchen Stil ich verfolge", meint Rokia Traoré selber. Ihre Vision sei "nicht Pop, nicht Jazz, nicht klassisch, aber etwas Zeitgenössisches mit traditionellen Instrumenten".

Von den afrikanischen Wurzeln bleibt zunächst die starke Rhythmus-Sektion erkennbar, obwohl sie gerade hier nicht mit traditionellen Instrumenten wie dem Balafon arbeitet, sondern mit einem Drum-Set, wie es in der Rockmusik üblich ist. Auf "Tchamantché" bildet es die Grundlage für ständig vorantreibende Rhythmen, auf denen Rokia Traoré eine dichte, elektrisierende Atmosphäre aufbauen kann. Sie setzt diverse Gitarren ein, die N'Goni als afrikanisches Element, aber auch Beatboxer und Harfe (berührend: "Kounandi") - Experimente, die man sonst eher von Björk-Alben gewohnt ist.

Doch Rokia Traoré will mit ihrer radikalen Herangehensweise nicht verstören, sondern mitnehmen. Behutsam, jedoch zielgenau, führt sie ihr gleichermaßen in Mali und Europa beheimatetes Publikum auf einen neuen Weg, der weder eindeutig Folklore noch Pop oder Jazz ist.

Dieser eigene Weg macht Rokia Traoré zu einer Songwriterin mit einem unverwechselbaren Profil, eindringlichen Arrangements und starken Geschichten. "Charisma", textete sie für "Kounandi", ein Schlüsselstück des Albums, "is a gift from heaven // but learning to obtain // what one wants from existence // is a notion acquired here below". Dieser klare Blick auf das Leben und das eigene Dasein bestimmt auch ihre Musik, man spürt ihre starke Persönlichkeit in jedem Augenblick.

Spätestens zum Abschluss des Albums, wenn sie Billie Holidays "The man I love" covert (es ist das einzige Stück auf "Tchamantché", das sie nicht selbst komponierte), werden Vorbilder und Intentionen deutlich: Rokia Traoré lässt sich nicht von der Herkunft der Musik bestimmen. Es verhält sich genau umgekehrt. Wie bei Billie Holiday ist es ihre Persönlichkeit, ihr Charisma, das sie in ihrer Interpretation zum Ausdruck bringt. Diese Fähigkeit macht sie zu der herausragenden Künstlerin, die sie ist.

 

© Michael Frost, 14.11.2008


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