"Noch eine dieser Reportagen nach dem Motto 'der Mann und das Meer'", habe er gedacht, als ihn die Anfrage erreichte, ob er einen Soundtrack zu der Dokumentation über den Hochseesegler Eric Tabarly komponieren würde. Yann Tiersen saß, so bekundet er auf seiner Website, mitten in der Arbeit an seinem nächsten Album, als Regisseur Jaques Perrin ihn kontaktierte.
Perrin gilt immerhin als Spezialist für epische, erzählerische Dokumentationen - u.a. geht der Film "Nomaden der Lüfte" auf sein Konto, außerdem produzierte der "Die Kinder des Monsieur Mathieu". Also sah Tiersen sich den Film an - und legte die Arbeit an seiner neuen CD beiseite, um damit zu beginnen, ein "Instrumentalporträt", wie er es nennt, über die Segel-Legende Tabarly zu entwerfen.
"Tabarly", der Soundtrack, bewegt sich vom ersten Moment an auf hoher See. Man spürt den Wellengang, die Gischt, aber auch Flauten, atemberaubende Sonnenuntergänge über dem Meer, die Schönheit, und immer wieder die Gefahr, etwa 1976, als er nach 1964 die Transatlantik-Regatta für Einhandsegler von Plymouth nach Newport gewann.
Yann Tiersen vollzieht diese Stationen des bewegten Lebens Tabarlys schwungvoll, basierend auf seinem seit dem "Amélie"-Soundtrack unverkennbar leichten Piano-Spiel. Er ähnelt darin einem Pianisten aus der Stummfilm-Ära: Auch sie arbeiteten mit Blick auf die Leinwand, gewissermaßen als instrumentaler Spiegel der Filmhandlung, und man mag sich allein beim Hören des Soundtracks vorstellen, dass Tiersen nach diesem Vorbild gearbeitet hat, so direkt übertragen sich die Bilder - auch ohne sie jemals gesehen zu haben, denn in Deutschland ist der Film noch nicht gestartet.
Yann Tiersen jedoch beweist erneut, dass Filmmusik ein Eigenleben entwickeln kann, indem er Stimmungen spürbar macht. So erlebt man den schicksalhaften Gang des Lebens Tabarlys, der das Risiko seiner Leidenschaft nie scheute, am Ende jedoch zuviel aufs Spiel setzte. Tiersen zeichnet in "Atlantique Nord" ein lyrisches, sogar liebevolles Bild des rauen Ozeans, aber auch seine Macht, das Aufbäumen der Wellen, seine Unbeherrschbarkeit. Am Ende, wissen die Biografen, stirbt Eric Tabarly eines Nachts auf See, während einer Fahrt nach Belfast. Offenbar war er bei einem Segelmanöver über Bord gefallen. Tage darauf wurde sein Leichnam von Fischern gefunden. Yann Tiersen beschreibt diesen letzten Moment in Tabarlys Leben, der nur in der Rekonstruktion erfahrbar wird, mit einem einzigen, ansteigenden Geigenstrich, als wolle er damit das Fragezeichen nachvollziehen, das mit dem Tod Tabarlys verbunden ist.
Nein, "Tabarly" ist nicht der typische Meeresdoku-Soundtrack geworden, bei dem das Akkordeon maritime Atmosphäre verbreitet (Tiersen hat es bewusst komplett ausgespart), sondern eine einfühlsame, filigran inszenierte Begleitung eines Lebens - tatsächlich eine instrumentale Biografie.
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Michael Frost, 12.08.2008