Der
Hinweis ist natürlich unvermeidlich, deshalb stellen wir ihn
auch diesmal gleich an den Beginn: Yann Tiersen ist der Komponist
des einzigartigen Soundtracks zum französischen Kino-Hit "Die
fabelhafte Welt der Amélie". Und des deutschen Kino-Hits
"Good bye Lenin". Für beide Werke wurde er zu einem
der namhaftesten Musiker Frankreichs und entsprechend mit zahllosen
Preisen bedacht.
Der
Klang seiner Kompositionen war so prägend, dass Tiersen wohl
Zeit seines Lebens mit "Amélie" verbunden bleiben
wird und keine Rezension auf diesen Verweis verzichten kann, egal,
was er gerade tut. Selbstredend kann Tiersen sehr gut mit (und von)
der Erinnerung an sein Meisterwerk leben. Also versucht er gar nicht
erst, sich von seinem Image zu lösen. Und so beginnt auch sein
neues Album "Les retrouvailles" dort, wo "Amelie",
"Goodbye Lenin" und das Live-Album "C'était
ici" aufhörten.
Nahtlos
knüpft er an seine Filmmusiken an und erschafft mit diesem Album
eine weitere: Nur selten erlebt man Musik, die eine solche Flut an
Bildern und Empfindungen vor dem geistigen Auge des Zuhörenden
heraufbeschwört, doch gerade hierin liegt das Geheimnis der Einzigartigkeit
des Bretonen begründet.
Seine
Klangbilder zeigen Landschaften, Begegnungen, Empfindungen, schaffen
Stimmungen und Umgebungen, die manchmal bedrückend, manchmal
von berauschender Schönheit sein können. Wiederum verlässt
er sich dabei in der Hauptsache nur auf sich selbst, spielte die meisten
Instrumente im Alleingang ein, Unterstützung holte er sich nur
für die Orchesterpassagen und den Gesang. Auch hierin zeigt sich
jedoch seine Verlässlichkeit: Dominique A., einer der erfolgreichsten
Wegbereiter der "Nouvelle Vague" des Chansons, ist erneut
mit von der Partie, ebenso wie ein weiterer Charakterkopf der Szene:
Christophe Miossec.
Ein
Coup gelang Tiersen auch mit der Verpflichtung von Stuart A. Staples
(Tindersticks) und zweier weiblicher Gastsängerinnen: die großartige
Elisabeth Fraser, die bereits den Cocteau Twins und Massive Attack
ihre Stimme gab sowie Chanson-Legende Jane Birkin, für die er
eine melancholische Ballade maßschneiderte ("Plus d'hiver").
Freilich:
Ein Risiko ist Tiersen mit "Les retrouvailles" nicht eingegangen.
Er verlässt sich ganz auf seine, von Publikum und Kritikern gleichermaßen
geschätzten Qualitäten, veredelt diese mit hochkarätigen
Gästen und macht das Album durch das stimmige Arrangement aller
Zutaten erneut zu einem Hochgenuss.
©
Michael Frost, 15. Juni 2005