Kann Club-Musik politisch sein? Nein, sagt das allgemeine Verständnis. In Clubs geht es ums Feiern, ums Tanzen, um Rausch - kurzum: darum, der Wirklichkeit eine Nacht lang zu entfliehen. Rob Garza und Eric Hilton würden an dieser Stelle vermutlich lautstarkein Einspruch erheben, und genau genommen tun sie es sogar. "Radio Retaliation" ist ihr Statement für einen Clubsound, der Politik nicht ausblendet, sondern explizit integriert. Es sei nämlich schwer, so die beiden Soundbastler der Thievery Corporation, "seine Augen zu schließen und ruhig einzuschlafen, wenn die Welt um dich herum in Flammen steht".
Das weltweit angesagte DJ- und Produzentenduo hat also für "Radio Retalation" einen Sound geschaffen, der die musikalische Protestkultur zusammenfasst. Reggae und Dub sind dabei tragende Elemente, und von dort aus ist es nur noch ein Katzensprung zur afrikanischen Rhythmik, außerdem erkennt man Züge des Mestizo-Sounds eines Manu Chao und vieler südamerikanischen Rockbands.
Thievery Corporation bündelt diese Sounds zu einem homogenen DJ-Set, dessen Übergänge zwischen den einzelnen Stücken kaum mehr spürbar werden. Soul, Funk, Triphop, Electronica und House bilden die Grundlage - und fertig ist ein Soundkonzept, dessen ambitionierte Vielschichtigkeit sich wohltuend abhebt von den unzähligen aalglatten Lounge- und Clubprojekten, die man meist schon während des Hörens wieder vergessen hat. Der Pulsschlag dieses Albums dagegen bleibt von nachhaltiger Wirkung, gerade weil es Ecken und Kanten gibt, ungewöhnliche Sounds und verschiedene Sprache aus allen Teilen der Welt, die sich wie von selbst mit der Clubkultur mischen und dabei noch einen politischen Anspruch formulieren.
Ausgerechnet in Washington D.C. wurde "Radio Retaliation" aufgenommen - stehen doch die USA im Focus der politischen Kritik von Garza und Hilton. Doch gerade die US-amerikanische Hauptstadt verfügt über eine agile Subkultur, von der das Album inspiriert ist. Und im Verständnis der Thievery Corporation kommt Subkultur von subversiv, und so hat es ein wenig den Anschein, als plane man mit dieser linken Tanzmusik die gezielte Unterwanderung des Mainstream.
"Wir wollen dazu beitragen, dass die Leute endlich ihr Gehirn einschalten. Unsere Live-Shows sind daher das beste Beispiel für eine funktionierende dynamische Verknüpfung musikalischer, kultureller und gesellschaftlicher Interessen." Und so kommen auf "Radio Retaliation" endlich einmal all die zum Zuge, die sonst, und vor allem in den gleichgeschalteten Radioprgrammen, außen vorbleiben: der brasilianische Sänger und Schauspieler Seu Jorge, Anushka Shankar (Sitar), die Slowenin Jana Andevska (Gesang, Geige), Femi Kuti aus Nigeria. Denn auch dies ist ein Anliegen des Albums: der Hinweis auf die Verarmung der Radiokultur. Thievery Corporation: "Abgesehen von ein paar letzten Indie-Bastionen kommt heute kein Funken musikalischer oder informeller Freiheit mehr über den Äther. Die Radiosender sind alle aufgekauft, konsolidiert und homogenisiert worden. Die Musik leidet darunter genauso wie die Gesellschaft an sich."
Dem ist nichts hinzuzufügen, außer der Wunsch, dass sich möglichst viele Musiker - und Hörer - hinter dieser Kritik vereinigen mögen, um Einfluss auf die Programme zu nehmen. Bis das gelingt, hören wir "Radio Retaliation".
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Michael Frost, 27.09.2008