Blasmusik
? - Nein danke. Ganzen Generationen von jungen Deutschen, Schweizern
und Österreichern, geradezu traumatisiert von den niemals endenden
Musikantenstadln, -scheunen und 'Volksmusik'-Paraden bei familiären
Fernsehabenden, haben den Blasinstrumenten abgeschworen. Posaune ? -
Der Inbegriff schunkelnden Spießertums. Susaphon ? - Kleinbürgerlich.
Tuba ? Reaktionär !
Nicht
jeder Geschädigte vermochte nämlich zu hören, dass
man mit den verpönten Blechinstrumenten auch Musik machen kann
- abseits jeglichen Alpenglühens. Anders erging es wohl Achim
Fink, Bernd Winterschladen, Andreas Gilgenberg und Richard Hellenthal.
Das Quartett, dessen Wurzeln bereits bis in die 80er Jahre zurückreichen,
fand sich im Sommer 2002 in der Kölner Martin-Luther-Kirche ein,
wo sie mit technischem Gerät, wie es nur von Liebhabern benutzt
wird (Röhrenmikrophonverstärker und Röhren verstärkte
Kondensatormikrophone) ihr neues Album aufnahmen. "Blow Up"
- eine Fanfare für den reinen Ton, noch eine für die Liebe
zum Detail, eine weitere für die Leidenschaft zum Instrument.
Ist
es Jazz, Swing oder BeBop ? Pop oder Funk ? Man ist sich beim Hören
nie wirklich sicher, denn die ungewöhnlichen Instrumentierungen,
die tatsächlich fast ausschließlich aus Blasinstrumenten
(Sopran-, Alt-, Tenor- und Bariton-Saxophon, Posaune, Horn, Tuba,
Susaphon und Bassklarinette) bestehen, verfremden die Hörgewohnheiten.
Man muss sich umorientieren, sich einfühlen, denn auch auf das
den Takt vorgebende Schlagzeug wird überwiegend völlig verzichtet.
Dennoch
ist das Bläserquartett klug genug, ihren Sound mit der Unterstützung
einiger Gastmusiker zu variieren. Zu ihren "Talking Horns"
gesellen sich bei einigen Stücken die "Talking Drums"
von Ramsesh Shotham, nämlich indische (Tavil), arabische (Dharabuka)
und afrikanische (Hadgini) Trommeln. Die Kommunikation funktioniert:
Bläser und Percussions treten in einen rhythmischen Dialog ein,
der seinerseits ebenso neue Klangfarben evoziert wie der Abschluss
des Albums, den die Talking Horns mit der Harfenistin Ulla van Daelen
bestreiten. Die warme Sanftheit ihres Instrument steht, so sollte
man denken, im Kontrast zur kühlen Härte der Blechinstrumente
- doch weit gefehlt. Hier zeigt sich nämlich die ganze Virtuosität
der vier Bläser, die nicht nur in den schnellen und lauten Passagen
überzeugen, in denen ihr Klang zu dem eines ganzen Orchesters
anzuschwellen scheint - sondern auch die ungleich schwierigere Kunst
beherrschen sich zurückzunehmen.
So
entfaltet "Blow up" schließlich und endlich sogar
eine gewisse therapeutische Überzeugungskraft fürs Karl-Moik-traumatisierte
Gemüt. Man kann dankbar sein für die Rehabiliation, die
diese vier Musiker der Gattung Blasmusik widerfahren lassen. Sie spielen
mit den Klischees ihres Genres sehr bewusst. Das surrealistische Cover
von "Blow up" ziert nämlich ein röhrendes Nas-Horn
mit Hirschgeweih vor alpenländischer Gipfellandschaft. Untertitel:
"Blazzmusic".
©
Michael Frost, 04.10.2003