Sie ist eine Anarchistin der Tasten, sie lässt sich treiben, sie folgt ihren Eingebungen in einem wilden Assoziationsfluss, der europäische Klassik und amerikanischen Blues verbindet, der Bach und Chopin anklingen lässt, wo sie Carla Bley und Thelonious Monk spielt, ihr Anschlag ist kantig-direkt, ihr Pianospiel wechselt zwischen rasend-heftigen Free-Jazz-Attacken und hingehauchten simple melodies, die so süß und weich sind wie es das Titelstück dieser außergewöhnlichen Pianistin verspricht: „Something sweet, something tender“ ist ein Stück von Eric Dolphy, der bis zu seinem frühen Tod 1964 innerhalb weniger Jahre die Formensprache des Jazz veränderte.
Er gehört zu den erklärten Lieblingen der japanischen Pianistin Aki Takase, die am 26. Januar 60 Jahre alt geworden ist und sich mit ihrem Solo-Album ein Geburtstagsgeschenk macht, das alle Chancen hat, einmal zu den großen Aufnahmen dieser Tage gerechnet zu werden. Dabei macht die Wahlberlinerin es niemandem leicht. Mit dem, was sie innerhalb von vier Tagen – im Mai und Juni 2007 – allein im Studio aufgenommen hat, verletzt sie Hörgewohnheiten und verlangt äußerste Konzentration.
Mit Stücken von Monk, Carla Bley, Dolphy und Ornette Coleman zeigt sie, wem sie sich besonders verpflichtet fühlt. Mitten unter die Musik der Freunde, zu denen auch ihr langjähriger Duo-Partner Alexander von Schlippenbach gehört, setzt sie eine Eigenkomposition: „Something for A.“ – ein mehrteiliges Stück, das mit einer knapp gehaltenen, dichten Introduktion beginnt, deren extreme Spannung in den fünf kurzen Folgesätzen vorsichtig ausgefaltet wird.
Aki Takases Pianospiel ist von einem radikalen Freiheitswillen geprägt, sie scheint sich immer wieder zu unterbrechen, sie bricht mit jedem schnellen Wohlgefühl, ohne dass sie dabei die Suche nach klaren Formen und großen Mustern aufgeben würde. Im Gegenteil: Geradezu programmatisch ist ihr Schlußstück, die Eigenkomposition „So lang Mr. T. Shimizu“, - eine Hommage an den verstorbenen Literaten und Jazz-Kritiker -, das frei-tonal einsetzt, um allmählich in ein amerikanisches traditional einzumünden, dessen Wehmut die Pianistin durch die nüchterne Klarheit ihres Stils noch hervorhebt.
Mindestens ebenso überraschend ist ihre Version von Ornette Colemans „Peace“, in der sich mitten im Stück ein wunderbar traditioneller Blues-Train in Bewegung setzt, und fast am Schönsten die „Locomotive“ von Thelonious Monk, drei Minuten, die an Chopin und Satie zugleich erinnern. „Hinter meinem Rücken“ nennt Aki Takase ein schnelles, hämmerndes Intermezzo, das ihre Zusammenarbeit mit der Dichterin Yoko Tawada vergegenwärtigt.
Hinter ihrem Rücken – so lässt sich vermuten – schließen sich die vielen musikalischen Impulse kurz, die dieser Pianistin unter die Finger geraten und ein Eigenleben gewinnen, als wären die Werke der anderen und die eigenen Kompositionen Ausdruck ein und derselben Konfession, die sich in ihrer Musik äußert: Dass die Avantgarde lebt, solange sie von einer solch lebendigen und leidenschaftlichen Musikerin hochgehalten wird.
© Hans Happel, 10. Februar 2008