Was
für Musik läuft eigentlich in der türkischen Eckkneipe?
Was singen die Musiker, die aus den Autoboxen vieler Migranten dröhnen?
Woher stammen Rhythmus und Geschichten, und wo findet die Musik der
Einwanderer überhaupt statt? Man findet sie nicht auf den Programmen
der Konzertsäle oder Kulturzentren, und wenn doch, dann überwiegend
als Untermalung von Multikulti-Festen oder zum Abendessen im linksliberalen
Bürgertum.
Über
die Ursprünge türkischer oder arabischer Musik weiß
man jedoch wenig. Wohl deshalb hat sich Rachid Taha, immerhin Frankreichs
populärster Rockmusiker arabischer Herkunft, auf Spurensuche
begeben. Was er dabei zusammentrug, entstammt der Generation seiner
Eltern und Großeltern, die in den 50er und 60er Jahren vorwiegend
aus Algerien, Tunesien und Marokko nach Frankreich kamen.
Ihr
ihren Wohnvierteln in Paris kam, so der Begleittext zu Rachids Taha
Veröffentlichung "Diwan 2", "das nordafrikanische
Publikum zusammen, meist männlich un nur durch ein paar Zeilen
auf einer Tafel über die Auftritte informiert". Die Musiker
selbst kamen eigens aus den Heimatländern ihrer Zuhörer,
und sie wurden heiß ersehnt und begeistert empfangen - trugen
sie doch mit jedem ihrer Auftritte ein Stück Heimat ins weiterhin
fremde Europa.
Schon
zum zweiten Mal hat Rachid Taha einige Lieder aus dieser Zeit für
eine CD-Veröffentlichung neu aufgenommen. "Diwan" nennt
er diese Reihe, und für "Diwan 2" engagierte er neben
vielen weiteren Musikern das Cairo String Ensemble und Hakim Harnadouche
auf der Mandolaute (einer Mischung aus Laute und Mandoline).
Was
Rachid Taha - zum Teil auf dem Dachboden seiner Eltern - zu Tage förderte
und entstaubte, klingt dabei so gar nicht altbacken oder vorgestrig,
wie man vielleicht annehmen möchte. Denn seine Musik ist nicht
für das Ethnologische Museum gedacht, sondern soll an den gleichen
Stellen gehört werden wie einst die Originale: in den Treffpunkten
der Einwanderer - und ihrer Nachkommen. So verlässt sich Tahe
nicht allein auf die traditionelle Instrumentierung. Bass, Computer,
Gitarren, Schlagzeug - sämtliche Zutaten westlicher Pop/Rock-Musik
sind vertreten und kunstvoll mit den arabischen Elementen verwoben.
Damit widerlegt Rachid Taha en passent die Fundamentalisten jeder
Couleur und die Keile, die sie zwischen westliche und orientalische
Kulturen treiben wollen.
Aus
dem Zusammenspiel von Orient und Okzident erwächst der Sound
von heute, den Taha selbst seit Jahren entscheidend mitgeprägt
hat. Und, so wissen wir seit dem ersten "Diwan"-Album, er
wurde seinerseits von den Musikern geprägt, denen er mit seinem
"Diwan"-Projekt Tribut zollt.
Michael
Frost, 15. Oktober 2004