Der Zweck von Vorurteilen liegt ja bekanntlich ausschließlich in ihrer Überwindung. Das gilt auch für das Klischee vom mediterranen Temperament und nordischer Schwermut, und im Falle des ungewöhnlichen "Stockholm Lisboa Project ist schon die geografische Zuordnung falsch: Portugal liegt am schroffen Atlantik, und nach einer internationalen Erhebung ist das Lebensgefühl nirgendwo positiver als in der schwedischen Hauptstadt Stockholm - von wegen Schwermut.
Und so merkt man auch der Musik des "Stockholm Lisboa Project" schnell an, wie die Temperamente in Wahrheit verteilt sind: Hier die andächtige, von "saudade" erfüllte Stimme von Fado-Sängerin Liana und der nicht minder traurigen, sie ihn ihrem sehnsuchtsvollen Gesang untermalenden Geige von Sérgio Crisóstomo - dort die beiden Schweden Simon Stålspets (Mandola) und Filip Jers (Mundharmonika) mit dem Überschwang mittsommertrunkener "Polskas", der traditionellen Volkstänze.
Das Experiment der vier Musiker ist an Originalität sicher kaum zu überbieten und für die Gralshüter kultureller Isolation zweifellos ein Graus, doch im Zeitalter eines zusammenwachsenden Europa ist es wohl überfällig, dass selbst die diagonalen (so auch der Albumtitel) Exponenten des Kontinents zueinander finden.
Spätestens mit "Corridinho do Ti Antonio", einem Stück, in dem die Folklore des Alentejo eine fröhliche Vereinigung mit den Tänzen zwischen Skåne und Norrland feiert, müssten auch die letzten Zweifler ihre Skepsis über Bord werfen, und manch einer wird in Feiertagsliedern wie "Bröllopsdag" (Hochzeitstag) den Einfluss weiterer Kulturen entdecken, die am Wegesrand der 3.000 km langen Strecke zwischen Stockholm und Lissabon aufgelesen wurden. Und wenn es irgendwann heißt: "Saudade, vai-te embora" ("Hau ab, Schwermut!), dann haben Portugiesen und Schweden endgültig zusammen gefunden. Vermutlich bei einem deftigen Gelange aus Köttbullar und Vinho Verde. Saúde & Skål!
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Michael Frost, 06.06.2009