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Vermächtnis einer großen Stimme

 

Mercedes Sosa ist ein Beispiel für die Macht der Kunst. Die Sängerin, die im Oktober 2009 starb, war das moralische Gewissen Argentiniens und Lateinamerikas. Ihre Stimme, die sie zeit ihres Lebens gegen das Unrecht und die Diktaturen erhob, die Südamerika über Jahrzehnte im Würgegriff hatten, hatte Gewicht. Mutig und unerschrocken erhob sie sie immer wieder, bis zuletzt.

Doch am Ende sollte Mercedes Sosa zufrieden auf ihr Werk zurückblicken: Es scheint, als hätten sich überall in Lateinamerika stabile demokratische Systeme etabliert. Dort, wo wie kürzlich dennoch Putschversuche unternommen werden, treffen sie auf den erbitterten Widerstand weiter Teile der Bevölkerung. Möglich wurden diese Erfolge der Freiheit sicherlich auch durch eine veränderte Doktrin der USA: Die Weltmacht ist mit anderen Konfliktherden ausgelastet und vernachlässigt ihre früher als "Hinterhof" verspotteten Nachbarn im Süden.

Mercedes Sosa war jedoch immer vor allem Künstlerin, keine Politikerin. Den Weg ihres brasilianischen Kollegen Gilberto Gil, der sogar Kultusminister wurde, wäre sie nie gegangen. Lieber ging "La Negra", wie Sosa überall genannt wurde, Kooperationen mit anderen Musikern ein und verbreiterte so ihre künstlerische Basis. In Deutschland sind ihre gemeinsamen Auftritte mit Konstantin Wecker und Joan Baez legendär - das Trio zählt zu den Höhepunkten der Liedermacher-Ära.

Ihr letztes Projekt zu Lebzeiten kann rückblickend wohl auch als letzte Ehrbezeugung ihrer Kollegen gelten. Es ist die Verneigung ihrer großen lateinamerikanischen und spanischen Kollegen, die "Cantora" zu neunzehn sehr unterschiedlichen, jedoch ausnahmslos würdigen Duetten mit "La Negra" vereint; darunter die Brasilianer Jorge Drexler, Daniela Mercury und Caetano Veloso, Lila Downs (Mexiko), Franco de Vita (Venezuela) und Weltstar Shakira (Kolumbien).

Eröffnet wird der Reigen allerdings von einem, der einst den umgekehrten Weg ging: Während viele lateinamerikanischer Künstler einst vor den Diktatoren ins europäische Exil flüchten mussten, floh Joan Manuel Serrat Anfang der 1970er Jahre vor der Franco-Diktatur in Spanien nach Mexiko. Der aus Barcelona stammende Sänger hatte darauf bestanden, auf Katalanisch zu singen und geriet so ins Visier des Diktators. "Aquellas pequenas cosas" ist eine ergreifende, klassische Ballade. Weitere Höhepunkte sind - neben den bereits genannten - "Canción para un nino en la calle". Hier mischen Mercedes Sosa und Rapper "René de Calle 13" Hiphop, Folk und Tango sowie zweifellos "Violetas para Violeta".

Mercedes Sosa und ihr spanischer Duettpartner Joaquín Sabina widmen das Lied der chilenischen Liedermacherin Violeta Parra (1917-1967), die nicht nur eine künstlerische Wegbegeleiterin des ersten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende war, sondern der Mercedes Sosa ihr wohl berühmtestes Lied verdankt: "Gracias à la vida".

Mercedes Sosa ging auf "Cantora" einige Kooperationen ein, mit denen sie sich überraschend weit vom eigenen Weg entfernte. Der Folk-Ikone, die sie war, kommen die Beiträge mit Lila Downs ("Razón de vivir"), Gustavo Cordera ("El ángel de la bicicletta") und Luis Alberto Spinetta ("Barro tal vez") besonders nahe. Andere Duettpartner, etwa Julietta Venegas, spielen mit dem Image der Folksängerin, indem sie Indio-Rhythmen mit dramatischen Streichern untermalen ("Sabiéndase de las descalzos"). Doch ganz gleich, ob im Umfeld klassischer Balladen, Bossanova, Flamenco, Tango oder Pop - das weithin klare, ungebrochene Timbre der großen Mercedes Sosa wird unvergessen bleiben, und eine würdigere Verabschiedung der Welt-Musikerin erscheint kaum vorstellbar.

Unverständlich bleibt nur, weshalb darauf verzichtet wird, dem internationalen Publikum die kompletten Aufnahmen zu präsentieren. In Argentinien erschienen nämlich "Cantora 1" und "Cantora 2" mit ingesamt 35 Duetten, während die internationale Veröffentlichung, die dieser Rezension zugrunde liegt, lediglich 19 aus beiden Alben ausgewählte Lieder enthält. Statt der vollständigen Fassung erscheint zusätzlich in "Limitierter Auflage" die verkürzte Version, der eine DVD mit einer Dokumentation der (19) Aufnahmen beiliegt.

 

© Michael Frost, 01.11.2009


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