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Ausfallschritt
des Tangomeisters


Harte Zeiten für die Gralshüter des Wilden Westen. Zuletzt mussten sie zusehen, wie Regisseur Ang Lee mit seinem Drama "Brokeback Mountain" die Cowboy-Romantik neu interpretierte, und nun quartiert sich auch noch ein Franzose (!) in Nashville (!!) ein, dem Heiligtum amerikanischer Musikkultur, und nimmt ein Album mit Countrysongs auf.

Seit Neil Youngs legendärem Album "Harvest" liebe er Countrymusik, sagt Philippe Cohen-Solal, den man vorher sicherlich kaum mit diesem Genre in Verbindung gebracht hätte. Denn Cohen-Solal ist ansonsten als Kopf des "Gotan Project" bekannt, dem revolutionären französisch-argentinischen Trio, das Tango und Electronica zu einer umwerfend coolen Clubmusik fusionierte.

Dabei ist der Schritt von Tango zum Country für Cohen-Solal fast naheliegend: "In einer gewissen Art sind sie sich sehr ähnlich. Tango ist die Roots-Musik von Argentinien, und Country und Bluegrass sind die weiße Soul-Musik."

Also machte er sich einen Längsstrich durch das S seines Nachnamen und zog sich, begleitet von Produzent Bucky Baxter, in das "Three Trees"-Studio außerhalb von Nashville zurück. Mit einem weiteren Strich durchkreuzte er die Erwartung, er würde jetzt, analog zum Tango, eine Art Electro-Country für die Club- und Loungewelt kreieren.

Statt dessen entstanden, unterstützt von kleiner Begleitband und wechselnden Gastsängern, "The moonshine sessions", die genauso klingen, wie sie heißen: eine Sammlung leise wogender, rhythmischer Folk- und Countrysongs, in denen die Mundharmonika die tragende Rolle einzunehmen scheint (wie das Bandoneon im Tango), Einsamkeit, Melancholie und Mondlicht verbreitend, so wie die bittersüße Ballade "I lost him", von Melonie Cannon mit trauriger Stimme intoniert, oder der Schlusssong "Seven guns & seven holes", der Johnny Cash und Ennio Morricone gleichermaßen als Hommage gereicht.

Cohen-Solal alias "$olal" erweist sich auch in fremdem Umfeld als Arrangeur mit untrüglichem Gespür. "Always alone" ist ein fast stereotyper Cowboysong mit traurigem Refrain ("You're all alone when you're in pain") und Schrammelgitarre am Lagerfeuer, einfühlsam gesungen von Ronnie Bowman.
"Fade away" wiederum, einen düsteren Song in Nick Cave-Manier, der von Troy Johnson und Carey Kotsionis gesungen wird, unterlegt er praktisch allein mit Banjo und Fiedel. Überhaupt gelingt es ihm grandios, den Songs Tiefe einzuhauchen, die seinen Spruch vom "weißen Soul" spürbar macht. Darin kommt er seinem Vorbild Neil Young recht nah - und vergrößert gleichzeitig die Distanz zu dem unerträglichen Country-Schlagerpop, mit dem wir dieses Genre inzwischen meist verbinden.

Gar nicht mit Country zusammengebracht hätte man vorab wohl zwei Coversongs: Abbas "Dancing Queen" und "Pretty vacant" von den Sex Pistols passen eigentlich schon jeder für sich nicht auf eine Country-Platte, und gemeinsam schon mal überhaupt nicht - soweit das Vorurteil. Cohen-Solal belehrt eines Besseren: "Dancing Queen" wird bei ihm zu einer hübschen, luftig-leichten Ballade mit akustischer Gitarre, wiederum von der bereits erwähnten Melonie Cannon gesungen und erweist sich auch in dieser Fassung als unkaputtbarer Evergreen.
In "Pretty vacant" wird dann die Fiedel von der Leine gelassen und darf sich ordentlich austoben - mehr Punk lässt die Countrymusik dann aber doch nicht zu. Vorbild dieser beiden Fassungen dürfte wohl das "Nouvelle Vague"-Konzept sein, bei dem die Klassiker aus New Wave und Punk in leise Bossanova-Songs verwandelt wurden. Die Grundidee birgt also noch viele Möglichkeiten.

Doch Philippe Cohen-Solal hat bereits mitgeteilt, dass er nicht beabsichtige, das Bandoneon zugunsten des Cowboyhuts an den Nagel zu hängen: in der Hauptsache bleibt er also dem Tango verbunden. Dass diesem Sidestep weitere folgen, in welche Richtung auch immer, ist damit allerdings nicht ausgeschlossen. Warum auch?

© Michael Frost, 24.10.2007

 


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