Wenn
jemand in Bremerhaven die Jazz-Szene in den letzten 10 Jahren am Leben
gehalten und mit Konzert-Ereignissen immer wieder zum Blühen gebracht
hat, dann muß zuerst der Gitarrist und Sänger Jörg Seidel genannt
werden. Mit 17 hatte der heute 34-jährige Musiker im Stadttheater
den Bassisten Gary Peacock gehört, der zur Schar derjenigen gehörte,
die in den Nachkriegsjahren auf Truppentransportern oder Passagierschiffen
über den Ozean kamen und in Bremerhaven an Land und in die Kneipen
der Stadt gespült wurden.
Jörg
Seidel griff zur Gitarre, aber anstatt auf Folk oder Rock zu setzen,
setzte er sich mit Bremerhavens Sinit-Musikern zusammen, von denen
er den Swing lernte. Seine Recherchen führten ihn irgendwann zu "Chicos
Place", anfang der 50-er Jahre Bremerhavens schwärzeste Kneipe, in
der alle einheimischen Jungen zum erstenmal - und häufig heimlich
- schwarze Musik hörten.
Zu
dem legendären Club pilgerten damals Ed Kröger, der in den 70-er Jahren
einer der bundesweit bekanntesten Posaunisten wurde, oder Siggi Busch,
heute Professor für Kontrabass und Jazzpädagogik an der Berliner Musikhochschule.
Sie hörten in "Chicos Place" oder in der "Insel-Bar" den Swing-Pianisten
Harry Habla, der später nach New York gegangen ist und mit Duke Ellington
zusammen gespielt hat. Diese und andere Veteranen der lokalen Jazz-Geschichte
hatte Jörg Seidel im September 1998 ins Stadttheater eingeladen zu
einem Swing-Abend, bei dem sich Väter und Söhne musikalisch die Hände
reichten.
Wie
stark Jörg Seidel vom Sinti-Swing geprägt ist, zeigt er in seinen
Auftritten gemeinsam mit Sinti-Geigern wie Wedeli Köhler oder Martin
Weiss. In den letzten Jahren hat er sich zunehmend als Sänger profiliert,
und irgendwann hat er Nat King Cole für sich entdeckt. Mit seiner
weichen, geschmeidigen, leicht unterkühlten, stets zurückgenommenen
Stimme singt er die Cole-Ohrwürmer geradezu lakonisch und er verzichtet
- analog zum Trio des Vorbilds - auf ein Schlagzeug.
Mit
dem Pianisten Joe Dinkelbach und Gerold Dunker am Kontrabass hat er
ebenbürtige Musiker an seiner Seite, die ihre Qualität als harmonisch
aufeinander abgestimmtes Ensemble nicht nur auf der CD "Meeting Mr.
Cole - A Tribute to the Nat King Cole Trio" beweisen (LC 7093).
Welche
solistischen Qualitäten diese drei Muisker haben, und wie sie im Zusammenspiel
mit einem grenzüberschreitenden Alt-Star der Szene zur Hochform auflaufen,
haben sie am 8. Februar 2001 in Bremerhavens "Theater im Fischereihaven"
(TiF) bewiesen, das bis auf den letzten Platz besetzt war, als Bill
Ramsey mit dem Jörg Seidel-Trio Blues, Balladen und Swingtitel sang.
Der
Pianist Joe Dinkelbach ließ sich zu Solis von graziöser Leichtigkeit
hinreißen, Gerold Dunker brillierte im Duett mit Ramseys Stimme und
Seidel warf elegant seine schnellen Läufe ins Spiel.
Wer gehört hat, wie Ramsey mit rauem Schmelz "Georgia on my mind"
interpretiert, wie er allen Schmerz und alle Melancholie in diesen
Blues hineinlegt, der wird bedauern, dass dieses Ensemble keinen Live-Mitschnitt
des TiF-Abends geplant hat. Sein Gespür für exzellente Musiker und
für gelungene Gruppen-Konstellationen hat Jörg Seidel vor zwei Jahren
zu einer Studio-Session bewogen, deren hörenswerte Ergebnisse auf
der CD WHEREEVER YOU´VE GONE festgehalten sind: Wie fantastisch Saxophon
und Hammond-Orgel zusammengehen können, beweisen der Saxophonist Frank
Delle und der Organist Matthias Bätzel.
Frank
Delle, gebürtiger Bremerhavener, lebt heute in Hamburg. Sein Saxophonspiel
lebt von vielen Farben, er spielt es wie die eigene Stimme, er kann
ganz weich und lyrisch und rauh werden, und ebenso mit schnellsten
Läufen ins Coole wechseln. Er ist ein Spieler mit heißem Gefühl, nebenbei
auch ein guter Komponist wie die Titel FUN LOUIS BLUES und das titelgebende
WHEREEVER YOU´VE GONE beweisen. Wie er den Evergreen WINDMILLS OF
YOUR MIND nach einem ganz konventionellen Anfang neu beatmet, bis
er am Ende fast verstummt, das hat es in sich.
Matthias
Bätzel an der Hammond-Orgel ist erst ein souveräner Begleiter um dann
in filigranen Solo-Partien sein ganzes Können freizulegen. Das gilt
auch für den Bruder Alexander Bätzel am zurückhaltend swingenden Schlagzeug.
Auf dieser CD erweitert Jörg Seidel seine Formensprache und geht neue
Wege.
Ist
das "Mainstream-Jazz", wie er selber im Blick auf Bill Ramsey sagt?
Der Begriff ist fehl am Platz, er gilt auch für die ohrwürmigen Balladen
Nat King Coles nicht, weil Musik nur dann stromlinienförmig wird,
wenn sie etwas verliert: Das, was sie authentisch macht. (CD-Kontakt
über Jörg Seidel Tel: 0471/20 03 67)
"Jörg
Seidel: Meeting Mr. Cole - A Tribute to the Nat King Cole Trio"
ist eine Gast-Kritik
von Hans Happel / Februar 2001
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