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Mártas Schatztruhe

 

Sie ist an nahezu einhundert Schallplatten- und CD-Aufnahmen beteiligt, seitdem sie als 12-Jährige einen Volksliederwettbewerb in ihrer Schule gewann. In ihrer Heimat zählt sie zu den berühmtesten Sängerinnen, für ihr unermüdliches Engagement beim Aufspüren alter Volkstraditionen wird sie allseits hoch geachtet. Márta Sebestyéns Einsatz umfasst dabei nicht nur die Musik der Mehrheitsgesellschaft, sondern immer wieder widmet sie sich auch der Musik der Minderheiten im Land, etwa der Roma, der Slawen oder der Juden.

Von ihren fast zahllosen Aufnahmen fanden bislang nur drei den Weg in die internationale Musikwelt: "Szerelem, szerelem" wurde für den Soundtrack der Verfilmung des Ondaatje-Romans "Der englische Patient" verwendet, für eine Kooperation mit Deep Forest erhielt sie sogar den Grammy, und mit "Rivers" steuerte sie eine Komposition zu den legendären Aufnahmesessions bei, die Anfang der 90er Jahre mit vielen Stars der Weltmusik in Peter Gabriels Real World-Studios stattfanden und erst 2008 auf dem Album "Big blue ball" veröffentlicht wurden.

Mit "I can see the gates of heaven" soll die Musik Ungarns nun dem internationalen Publikum zugänglich gemacht werden. Das renommierte Weltmusiklabel "World Village" veröffentlicht Márta Sebestyéns neues Album, das die Künsterlin mit großem Aufwand produzierte: Die Multiinstrumentalisten Balazs Dongo Sokolay und Matyas Bolya gehören seit zehn Jahren zu den versiertesten Kennern der ungarischen Musikszene. Bolya befasste sich sogar in wissenschaftlichen Forschungsprojekten mit der Volksliedtradition.

Und Márta Sebestyén schöpft aus dem Vollen: Es ist, als habe sie ihr gesamtes Repertoire auf diesem einen Album unterbringen wollen. Liebes- und Tanzlieder, Geschichten von Trauer, Sehnsucht und überbordender Lebensfreude, unendlich fremd wirkende Gesangsharmonien, dann wieder umso vertrautere Instrumentalpartien: Ihre Musik zeigt, wie gleichermaßen fremd und vertraut uns die ungarische Kultur ist - weder westlich geprägt noch slawischen Ursprungs, sondern voller Eigenarten mit unverwechselbarem Charakter. Schon die Sprache nimmt im europäischen Kontext eine Sonderstellung ein, da sie weder mit den germanischen noch den romanischen oder slawischen Sprachen verwandt ist. Es liegt ein besonderer, fremder Zauber über dieser Musik.

In ausführlichen Linernotes, die Márta Sebestyén selbst verfasste, erläutert die Interpretin die Bedeutung der einzelnen Lieder. Dabei ist jeder einzelne Titel ein Medley aus zwei Stücken, die sie zu einem Lied zusammen fasste. Beispielhaft sei hier "Invocation" (Fürbitte) erwähnt, das aus den Liedern "Oh Heiliger Stefan" und "Lass mich nicht fallen, allmächtiger Gott" besteht. Der erste Teil, so schreibt Sebestyén, werde heute noch von der Volksgruppe der Tschangos, der ungarischen Minderheit in Siebenbürgen, gesungen, während der zweite Teil auf ein Lied aus dem 16. Jahrhundert verweist, das heute zum Gut der ungarischen Minderheit in Kroatien gehört.

Es ist eine in jeder Hinsicht ungewöhnliche Sammlung weltlicher und religiöser Volkslieder, die Márta Sebestyén hier zusammengetragen hat, faszinierend in ihrer lyrischen Interpretation und den wunderbar einfühlsamen und stimmigen Arrangements mit alten Instrumenten, aber ebenso begeisternd für Kulturwissenschaftler, Historiker und Ethnologen. Doch die größte Freue an dem Album hat vermutlich die Sängerin selbst: Márta Sebestyén ist spürbar stolz auf all die Lieder, die sie sorgsam hütet wie einen Schatz, den sie hier vor einer internationalen Öffentlichkeit ausbreitet.

© Michael Frost, 10.01.2010


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