Sie 
            haben die 60 überschritten, und als Veteranen des schmutzigen, 
            bösen, aggressiven, des echten und anstängen Rock'n'Roll 
            werden sie schon seit Jahrzehnten wahrgenommen. Also nichts Neues 
            mehr, wenn die "bad boys" Mick Jagger, Keith Richard, Ronnie 
            Wood, Charlie Watts und Daryll Jones ein neues Album machen? 
          Vielleicht 
            ist schon die Frage falsch, denn wer erwartet Neues von einer Band, 
            die seit mehr als vier Jahrzehnten immer wieder beweist, dass sie 
            den Rock'n'Roll erfunden hat, dass sie ihn immer noch so aufspielen 
            kann wie damals, als jeder zweite Stones-Song in die Annalen der Musikgeschichte 
            einging, während sie sich jetzt nur noch wiederholen wie alte 
            Männer, die sich immer mal wieder beweisen wollen, wie schön 
            es ist zusammen Musik zu machen, und die wirklich keinem modischen 
            Trend mehr folgen müssen. 
          Man 
            freut sich daran, dass sie noch da sind, man erinnert sich an Stones-Auftritte 
            in diversen Jahrzehnten, und dann hakt sich beim zerstreuten Mithören 
            der neuen Lieder unerwartet eine Zeile und eine musikalische Floskel 
            fest - wie in "It won't take long": "You can lose 
            the love of a lifetime/ in a single roll" und plötzlich 
            wird ein Stich spürbar, ein leiser Schmerz, in ohrwürmigen 
            Schmelz gefasst, und in Jaggers Stimme scheint etwas mehr mitzuschwingen 
            als bloße Routine. 
          Im 
            Folge-Song "Rain fall down" singt er - mit groovendem Unterboden 
            - vom stinkenden, schmuddeligen Zimmer in einer grauen Stadt, in der 
            jemand "sweet love" mache. Eine Rückbesinnung 
            auf die Anfänge? Erinnerungen an eine Zeit, in der die Musik 
            für die, die nichts besassen, Flucht und Traum sein konnte? 
          Track 
            5 heißt "streets of love", und dieser Song mit seinem 
            Mitmach-Refrain könnte mal wieder einer der inzwischen seltenen 
            Stones-Hits werden. Gerade weil der Text so furchtbar schlicht ist, 
            aber weil er einen schwer melancholischen Herbst-Ton in sich trägt: 
            "I walk the streets of love for a thousand years/and they 
            are full of tears", am Ende sind diese Straßen sogar 
            "full of fears".Und das ist neu. Furcht! Ganz ungewöhnlich 
            für die Stones. Da gesteht ein alter Mann, "awful bad" 
            gewesen zu sein, und jetzt, singt Jagger, sei er "awful sad". 
            
          Danach 
            ein echter Blues, "back of my hand" (Track 6), Charlie Watts 
            trommelt ganz straight, Mick Jagger spielt Mundharmonica, er besingt 
            einen Augenblick, eine Erinnerung, einen schmerzhaft melancholischen 
            Blick auf die Welt: Da hört jemand einen Straßenprediger, 
            der trouble weissagt, da hat jemand Träume, Visionen, 
            da sieht jemand Goyas dunkle Visionen und "paranoias", da 
            liest jemand die Lebenslinien auf seiner Hand ab. 
          Ok, 
            soviel intensive Töne wollen die Stones nicht durchhalten. Mit 
            Track 7 kehren sie zu einem knalligen Schlicht-Thema zurück, 
            in Track 8 stricken sie an einem sympathisch melodiösem Rocksong 
            mit ebenso sympathischer Selbstkritik: Spiele nicht mit deiner späten 
            Liebe ("Biggest mistake"). 
          Keith 
            Richard singt "This place is empty" (Track 9), er beschwört 
            die Frau, sein baby, "come on, you and me, we´re just 
            like the rest/ and we don´t want to be alone" und das 
            nimmt man ihm ab. Track 10 die alten Formeln, schnelle Rhythmen, Track 
            11 "Dangerous beauty" unnötig, Mick Jagger besingt 
            viel zu gepresst zum x-tenmal die "dangerous, dangerous, dangerous 
            beauty", er sagt und singt es selber, das ist painfully! 
            
          Dagegen 
            Track 12: Mick mit Kehlkopfstimme "I´m so sick and tired/ 
            so I´ll say my goodbyes
..laugh, laugh, I nearly died". 
            Das klingt bitter und traurig, der Traveller, der in aller Welt gewesen 
            ist, fragt sich zum Schluß in mehrfacher Wiederholung, "wonder 
            who´s gonne be my guide", der Schlusswie ein Spiritual. 
            Der schönste Song des Albums. 
          Mit 
            "sweet neo con" (Track 13) versuchen sich die Stones in 
            politischer Kritik. Unscharf und scharf zugleich - mit frischem aggressiven 
            Impuls - wird der neokonservative christliche Fundamentalist angegriffen, 
            der in Amerika regiert, "where´s the money gone/ in 
            the Pentagon". Danach Rocksongs, anständig, rau und 
            erdig gespielt wie alle Songs des Albums, "driving too fast" 
            eine klare und laute Warnung, das Leben nicht hinterm Steuer des schnellen 
            Wagens wegzuschmeißen, schließlich take 16, wieder von 
            Keith Richard gesungen: "Your living in a nightmare, baby/ 
            and I mistook it for a dream". 
          Noch 
            einmal selbstkritische Worte: "It´s you, that wrote 
            the song, baby/ but it´s me, that got the song". Dieser 
            Schlusssong heißt "infamy", ein Wortspiel, denn die 
            entsprechende Songzeile heißt: "You´ve got in 
            for me". Spricht hier ein alt gewordener Rock'n'Roller über 
            die gefährlichen Seiten des Traums, aus dem die Stones bis heute 
            nicht aufgewacht sind und den sie bis zu ihrem Tod weitertragen werden? 
            
          "A 
            bigger bang" nennen sie ihr neues Album, und ein merkwürdig 
            helles Licht, ein Licht, in das man nicht hineinsehen kann, strahlt 
            aus einer Mitte, um die sich im Halbdunkel die Mitglieder der Band 
            versammelt haben. Nur Teile der Gesichter sind zu erkennen und die 
            sehen wie Masken aus, erstarrt, skurril, unheimlich. Ein Cover a la 
            Goya?
          
          "The 
            Rolling Stones: A bigger bang"
            ist ein Beitrag von Hans Happel
            © Hans Happel, September 2005