Es sind ganz besondere Charaktere, die sich in Rogalls "Electric Circus Sideshow" ein Stelldichein geben. Düstere Gestalten zumeist, mit abgründigen Stimmen, schrammelnden Gitarren, dumpfen Beats und eine Vorliebe für bizarre Arrangements.
Rogall ist Gründungsmitglied des Berliner Sonarkollektivs, darüber hinaus arbeitet er als DJ und Produzent. Mit der "Electric Circus Sideshow" kann er seine Vorliebe für das Abseitige ausleben. Er scharte für das Album eine Reihe von Kollegen um sich, die ihm im Laufe der letzten Jahre begegnet waren: Earl Zinger (Galliano), Farda P (Rockers HiFi), Hugo Race (The Bad Seeds), Henry Rollins, Steve Moss, Achim Färber, "San ra" Weckert, Frank Moon, Daniela Petry und Sängerin Bev Lee.
Sie alle sind im positiven Sinne Freaks, Menschen also, die gegen den Strom schwimmen, unangepasst und mit unverkennbar eigenem Willen. Die Kunst der ausgesprochenen Individualisten besteht folglich darin, sich in einem kollektiven Soundkonzept wiederzufinden - was einerseits nach Quadratur des Kreises klingt, andererseits jedoch lang erprobt ist. Etwa durch Hugo Race, der Mitglied der Bad Seeds ist, der Band also, die weit mehr ist als bloße "Begleitung" von Nick Cave, sondern gleichberechtigt jedes CD-Cover ziert.
Auch die Electric Sideshow ist die Quersumme herausragender Einzelleistungen. Blues und Bluegrass, Rumpelrock und Funk, Westernparodie, arabische Oud-Harmonien und kühle Elektronik, dazu Whiskey-getränkte Gesangsstimmen zwischen besagtem Nick Cave, Tom Waits und Roisin Murphy - der Sound ist spröde und schroff, dreckig und dunkel. Man ahnt, dass hinter der betont spontanen, nach Jam-Session klingenden Fassade ein raffiniert ausgeklügeltes Konzept steht, das mit einer schrägen Fanfare beginnt ("Nuts 'n' bolts") und mit dem desperaten "No deposit" endet.
Dazwischen können die Freaks sich nach Herzenslust austoben, und ihr schräger, gegen den Strich gebürsteter, Humor wirkt ansteckend. Schließlich hofft man, aus der "Sideshow" möge mehr werden, ein dauerhaftes Projekt womöglich, denn diese Band, so man sie denn bereits als solche bezeichnen darf, ist noch zu mancher Großtat fähig.
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Michael Frost, 14.10.2008