Hinsetzen, besser: hinlegen, sich Zeit nehmen, Augen schließen, und sich von der Musik tragen lassen. "Kali sultana", eine "lange Suite in zwei Teilen" (Pressetext) gleicht einem Strom. Titi Robin beschreibt seinen Lauf von der Quelle bis zum Mündungsdelta: "Die Musik auf Kali Sultana ist wie ein Fluss mit all seinen Zuflüssen, all die Ströme, die darin einfließen und dabei Objekte mit sich führen, die entweder an die Oberfläche gelangen, oder auf den Grund sinken."
So könnte man das Doppelalbum verstehen, andere Deutungsmöglichkeiten sind jedoch möglich - besser: zwingend. Denn die lyrische Instrumentalmusik Robins beginnt dort, wo Worte nicht mehr greifen, nichts vorgegeben wird, sondern die Musik ganz verschiedene Resonanzen erzeugt - je nachdem, auf wen sie trifft.
Die von Oud, Bouzouki und Gitarre getragenen Klänge entfalten vom ersten Moment an eine ungemeine assoziative Kraft, die dazu zwingt, dem Album seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken - nur dann kann die Musik ihre Tiefenwirkung entfalten, nur dann gelingt es wirklich, sich von ihr forttragen zu lassen.
Unterstützt wird Robin durch eine angestammte Schar virtuoser Begleiter: Kalou Stalin (Bass), Francis Varis (Akkordeon), Zé Luis Nascimento (Percussions) und Renaud Pion (Saxophon, Klarinette). Ihre Harmonien stammen wohl vorwiegend aus der arabischen Musik, dem Mittleren Osten, selbst indische Einflüsse klingen durch, doch aus diesen Wurzeln entwickeln die Musiker ihre ganz eigenen Sprache, die schließlich ebenso im Jazz angesiedelt sein könnte.
Das perfekt ineinander verwobene Ensemble wird immer wieder durch Streicher ergänzt, und schließlich, wenn die Instrumente eine Verstärkung benötigen, dann kommt auch wieder eine Stimme hinzu - und was für eine: Sie gehört Titi Robins Tochter Maria.
Sie zeigt, dass sich Gesang in die assoziative Strahlkraft der Musik nicht nur einfügen, sondern sie sogar noch verstärken kann. So wird sie zum Teil des Ensembles, Stimme und Instrumentenklang verschmelzen ebenso wie der Strom und seine Zuflüsse, Meer und Horizont, Wirklichkeit und Traum.
© Michael Frost, 06.12.2008