vorschau OMARA PORTUONDO Tourdaten

 

Suchen nach:
In Partnerschaft mit Amazon.de

Die Summe
aus 60 Jahren


Es ist ein wenig wie bei den russischen Matrjoschka-Figuren. Sie öffnen eine, um darin eine weitere zu finden - und so weiter. Wenn Sie "Gracias", das neue Album von Omara Portuondo in Händen halten, dann treffen Sie zunächst auf die Sängerin, wie die Welt sie vor nunmehr knapp zehn Jahren als weibliche Protagonistin des Buena Vista Social Club kennen lernte: als Grande Dame des kubanischen Son und der Boleros, elegant, charismatisch. "Veinte anos", ihr hingebungsvolles Duett mit dem inzwischen verstorbenen Compay Segundo, reichte für eine späte, dafür jedoch umso heftigere Weltkarriere.

Die Blumen zu ihren Füßen, sie symbolisieren die Zuneigung des Publikums für eine Diva, wie es nur wenige gibt: Ihr würdevolles Timbre prägte ein ganzes Genre, und zwar über einen deutlich längeren Zeitraum, als es außerhalb Kubas bekannt war. Zieht man das eigentliche CD-Case aus dem Pappschuber, trifft man auf eine zweite Omara Portuondo. Man sieht das bezaubernd Lächeln einer jungen Lateinamerikanerin in aufwändiger Abendgarderobe mit strahlendem Selbstbewusstsein, dass einige Jahre später (zu sehen auf der Rückseite der CD-Hülle) zu einer natürlichen Souveränität gereift scheint. Beim Blättern im Booklet entdeckt man schließlich noch weitere Gesichter derselben Person und begreift: Dieses Album ist die Summe der sechzigjährigen Musikkarriere einer Frau, die in zwei Jahren ihren 90. Geburtstag feiern wird.

Als 15-Jährige hatte Omara Portuondo 1945 eine Karriere als Tänzerin begonnen, als Sängerin trat sie danach erstmals mit ihrer älteren Schwester Haydee in Erscheinung: Die beiden sangen amerikanische Jazz-Standards, gründeten später ein Quartett, bevor Omara 1959 ihr erstes Soloalbum veröffentlichte ("Magia negra").

Nach der Revolution schien eine internationale Karriere ausgeschlossen - insbesondere der Weg in die USA war den kubanischen Künstlern versperrt. Zudem war jeder Kubaner gefordert, sich am ökonomischen Aufbau des Landes zu beteiligen. Omara Portuondo: "Jeder half bei der Ernte auf den Feldern und wir als Künstler unterstützten die Arbeiter, indem wir auf den Feldern sangen."

Obwohl sie in den 70er Jahren als Sängerin des Orquest Aragón auf internationalen Bühnen gastiert hatte, gelang der endgültige Durchbruch erst mit Ry Cooders "Buena Vista Social Club"-Projekt. Omara Portuondo war bereits auf dem Original-Album zu hören, und selbstverständlich war sie auch in Wim Wenders' Dokumentarfilm über die Aufnahme zum Folgealbum, das Ibrahim Ferrer in den Vordergrund stellen sollte, beteiligt. Das dritte von Ry Cooder produzierte Buena Vista Social Club-Album schließlich war ihr selbst gewidmet. Seither kostet Omara Portuondo ihren späten Ruhm vollends aus. Zu Beginn dieses Jahres ging sie mit ihrer brasilianischen Kollegin Maria Bethania auf Tournee, und auch zur Veröffentlichung von "Gracias" sind wieder Konzerte geplant, u.a. auch in Deutschland und Österreich.

Der Albumtitel, die biografische Auswahl der Fotos, die Musik, obwohl es sich dabei um Neuaufnahmen handelt - all das klingt ein bisschen wehmütig und nach Abschied. Vielleicht wird "Gracias" mit seinen eleganten Boleros eines Tages als Vermächtnis der Portuondo bezeichnet werden, denn das Album vereint erneut die stimmliche Strahlkraft einer charismatischen Interpretin, ihre außerordentliche Präsenz und eine Reife, die überhaupt nur eine Frau mit ihrer Lebenserfahrung erreichen kann. Wer Omara Portuondo erlebt und "Gracias" hört, verliert jede Angst vor dem Alter - und gewinnt dafür Ehrfurcht und Dankbarkeit.

© Michael Frost, 20. September 2008

 

 


[Archiv] [Up]