.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Suchen nach:
In Partnerschaft mit Amazon.de

Italienische Allegria
Gast-Kritik von Hans Happel


Das Buch ist 120 Jahre alt. Der Freiheitskämpfer und Journalist Carlo Collodi hat seine "Bambinata", seine "Kinderei", über eine sprechende Marionette namens Pinocchio 1881 - 1883 als Fortsetzungsgeschichte für eine Kinderzeitschrift veröffentlicht.

Der aus Pinienholz geschnitzte Hampelmann, der zum richtigen Jungen werden möchte, gilt als Portrait des frech spottenden, witzig lügenden Florentiner Gassenjungen. Das Buch ist Märchen, Satire und Erziehungroman zugleich, es moralisiert nicht laut und herrisch wie der "Struwelpeter", es zeigt die Umwege des hölzernen Knaben auf seinem Weg ins Leben weise und humorvoll.

Der italienische Komiker Roberto Benigni sieht in dem Kinderbuchklassiker, den er jetzt verfilmt hat, "so viele Geschenke, dass man sich kaum darin zurecht findet: Abenteuer, Schmerz, die Stimme des Lebens, Unbeschwertheit, Traurigkeit, Grausamkeit, Heldentum, und die Liebe."

"Pinocchio" ist - mit 45 Millionen Dollar Produktionskosten - der teuerste und zugleich der erfolgreichste italienische Film aller Zeiten geworden. In Italien hat er bei seinem Start im Herbst 2002 die amerikanischen Blockbuster von den ersten Plätzen verdrängt. Das ist Roberto Benigni zu verdanken, dessen anrührende Komik im Mutterland unmittelbar verstanden wird. Er ist die leibhaftige Verkörperung aller Facetten jenes Lausejungen Pinocchio, und wenn er mit marionettenhaft-hölzernen Bewegungen im Clownskostüm durch toskanische Straßen und Landschaften hüpft, wenn er pausenlos redet, sich in Lügen verstrickt und Entschuldigungen probt, dann ist diese Figur derart italienisch aufgeladen, dass sie in deutschen Landen - zumal in deutscher Synchronisation - kaum nachvollziehbar scheint.

In einem Bremer Multiplex-Cinema saßen wir am Startwochenende - Samstagabend - zu sechst im Saal, was nicht untypisch gewesen sein dürfte. Der Film, der mit aufwändigen Trickeffekten, mit weiten Landschaften, mit märchenhaften Kostümen aufwartet, ist ganz auf den Hauptdarsteller Roberto Benigni zugeschnitten. Und für den Nicht-Italiener kann der erwachsene "Hampelmann", der sichtbar kein Kind mehr ist, eher unfreiwillig albern wirken als kindlich-komisch.

Die Kritiken in Deutschland waren zumeist bissig, und man wird erst mit der Zeit - und mit Hilfe der italienischen Originalversion - den Witz des Films würdigen, den Marli Feldvoß in "epd-Film" hervorgehoben hat: "Es geschieht das Unvorstellbare: der 50-jährige Robertto Begnini wird mit jeder Faser seiner Person zum kleinen Jungen in der Trotzphase. Er strampelt, hüpft, schreit, greint, ist sich für keine Dummheit, keine Laune, keinen Stimmungsumschwung zu schade, bringt nach Strich und Faden die geordnete Welt der Erwachsenen durcheinander."

Die stimmige Musik für diesen "wahren kleinen Anarchisten" hat Nicola Piovani komponiert, der 1999 für die Musik zu Benignis "Das Leben ist schön" den Oscar erhalten hat. Es ist eine Musik voller Wärme und Witz, die von der uralten und weitverbreiteten italienischen Volksmusik-Tradition inspiriert ist, und es wird bestimmt nicht lange dauern, bis die Marschmusik, in der Piovani seine Themen bündelt, auf den Piazzen von Dörfern und Städtchen durch örtliche Blaskapellen intoniert wird.

Piovani spielt mit mehreren Hauptthemen, einem zart-romantischen für die mütterliche "Blaue Fee", einem leicht melancholischen für Pinocchios besten Freund "Docht" (Lucignolo), einem klassischen Zirkus-Thema und jenem weichen Gassenhauer für Pinnocchio, der - einmal im Ohr - kaum mehr aus dem Kopf geht. Fein abgestimmt ist die Instrumentation. Piovani dirigiert selber, er arbeitet zurückhaltend mit großem Orchester, bevorzugt einen transparenten Klangapparat, in dem viele Instrumente, darunter Oboe, Gitarre und Akkordeon, solistisch hervortreten.

Das Akkordeon, sagt er, stünde für die Mundharmonika, das Instrument seiner Kindheit, das er als erstes gelernt habe. Deshalb steht es hier für den Jungen ("Docht"), der von seiner Kindheit nicht Abschied nehmen will, der unangepasst bleibt, der sich weigert in die Schule zu gehen und deshalb als Esel sterben muß.

Auch wenn Piovanis oscarverdächtige Musik keinen Oscar erhalten sollte, das von Roberto Benigni mit frechem Zungenschlag gesungene Pinocchio-Lied wird in die italienische Folklore eingehen, und wer nach Italien fährt, der wird nicht zurück kommen, ohne es irgendwo auf der Straße gehört zu haben, gepfiffen oder geträllert, von Kindern oder Erwachsenen. Denn aus Benignis gesungener Frage "ma quant´è vita la vita" klingt die pure italienische Allegria.


"Nicola Piovani: Pinocchio"
ist eine Gast-Kritik von Hans Happel.
© Hans Happel, 16. März 2003
Was du wissen solltest, wenn du uns auch eine Gast-Kritik senden willst, erfährst du hier.


Weitere Beiträge von Hans Happel


[Archiv] [Up]