Man könnte
an Reinkarnation glauben. Bereits die ersten Worte des ersten, großartigen
Albums von Madeleine Peyroux erinnern an Billie Holiday. Wie ist es
nur möglich, dass ein so junger Mensch (Madeleine Peyroux war
kaum 23 Jahre alt, als sie das Album aufnahme) so viel Blues in der
Stimme haben kann wie kaum ein alter, lebenserfahrener Mensch?
Sie
bleibt die Antwort schuldig. In Athens/Georgia wurde sie geboren,
doch 1987 zog sie mit ihrer Mutter nach Paris/Frankreich. Dort begann
ihre Karriere - mit einer Gruppe amerikanischer Straßenmusikanten.
Wer weiß, vielleicht hörte man ihren Gesang damals in den
Metrostationen, eines von zahllosen Talenten der Stadt, die einen
mit dem Timbre der Piaf, andere mit der Reife von Billie Holiday -
oder eben Madeleine Peyroux, die beide in sich vereint. Inzwischen
singt sie "J'ai deux amours - mon pays et Paris" (Ich habe
zwei Lieben - mein Land und Paris), doch damals, zur Veröffentlichung
von "Dreamland", ihrem begeistert aufgenommenen Debüt,
gab es mit der Coverversion von "La vie en rose" vorerst
nur einen zarten Hinweis auf ihre neue Heimat.
Doch
in Wirklichkeit kann von "Coverversionen" im Zusammenhang
mit "Dreamland" keine Rede sein. Zwar kennt man die meisten
Bluessongs schon seit vielen Jahren, doch Madeleine Peyroux macht
glauben, sie seien allesamt gerade erst, und zwar speziell für
sie, geschrieben worden.
So
ist nicht nur ihre Stimme, sondern die Selbstverständlichkeit,
mit der sie die Lieder adaptiert, das eigentlich Überwältigende
dieser Produktion. Ob Patsy Clines "Walking after midnight"
oder "Muddy water", "Reckless blues" und "Lovesick
blues" (alle durch Bessie Smith bekannt geworden) - Madeleine
Peyroux überzeugt mit einer Bandbreite von in Gesang übertragenen
Emotionen, die ihresgleichen sucht.
Dass
sie zusätzlich zu diesen Neubearbeitungen sogar noch drei eigene
Kompositionen beisteuert ("Hey sweet man", "Always
a use" und der Titelsong "Dreamland"), die den übrigen
Songs in nichts nachstehen, ist nur noch das "Tüpfelchen"
auf dem i.
So
viel Einfühlungsvermögen in ein Lebensgefühl wie den
Blues, seine Zeit, seine Entstehung, seinen Ausdruck und seinen Platz
in der Musikgeschichte - wann hat es das zuletzt gegeben?
©
Michael Frost / 23. September 2000
Update: 25. September 2004