"The
Lady sings the blues", der Song ist für immer mit Billie
Holiday verbunden und mit der unverkennbaren Stimme einer Sängerin,
die das Jazz-Lexikon als "zart und sarkastisch, relaxed und gespannt,
direkt und distanziert, lebenslustig und resigniert" beschreibt.
Mit
einer solchen Sängerin und ihrer Stimme verglichen zu werden,
kann tödlich sein. Zu schwer ist die Last des großen Namens,
und vielleicht ging es Madelaine Peyroux genau so, als sie vor acht
Jahren mit ihrem Debüt-Album "Dreamland" herauskam
und alle Welt auf die verblüffende Ähnlichkeit mit der Jazz-Ikone
hinwies.
"Wie
Billie Holiday", hieß es damals beispielsweise im US-Nachrichtenmagazin
TIME, "hat Peyroux eine bittersüße, nach gebrochenem
Herzen klingende Altstimme; sie zieht die Töne in die Länge
und schlittert plötzlich an ihnen herab, sie findet Emotionen
eher im Langsamen, Traurigen, Verblassenden, denn im plakativen Gefühlsausbruch."
Madelaine
Peyroux war gerade 22 Jahre alt, als sie schlagartig nach oben katapultiert
wurde und ihr Album - mit prominenten Begleitern wie dem Saxophonisten
James Carter und der Geigerin Regina Carter - weltweit mehr als 200.000
mal verkauft wurde. Als 13-Jährige war sie gemeinsam mit ihrer
- bei einer internationalen Bank tätigen - Mutter von Brooklyn
nach Paris gezogen. Mit 16 fing sie an auf der Straße Musik
zu machen. Jahrelang tourte sie mit einer Straßenmusikerband
und einem Repertoire aus Jazz-Klassikern der 30-er Jahre durch ganz
Europa.
Nach
ihrer Entdeckung war sie plötzlich Gast der großen Festivals.
"Ich hatte die Gelegenheit mit fantastischen Musikern aufzutreten",
sagt sie, "ich hätte ewig so weitermachen können, entschied
mich aber irgendwann dazu, auf die Bremse zu treten und eine Auszeit
zu nehmen." So wird sie im Presseinfo zu ihrem neuen Album "careless
love" zitiert, das eine elektrisierende Stimme und eine reife,
starke Sängerin hören läßt, die nicht nur bestehen
kann neben den aktuellen Shooting-Stars unter den Jazz-Frauen, sondern
ihre ganz eigene Note mitbringt.
Ja,
diese Lady singt den Blues tatsächlich so, dass man an Billie
Holiday denken kann. Ihre dunkel getönte Stimme hat eine ähnlich
elastische Intonation, sie dehnt die Töne, sie lässt sich
in die Melodien fallen, als wären die Songs eine Hängematte,
die vom festen und klaren rhythmischen Gerüst getragen und zusammengehalten
wird. Aber Madelaine Peyroux ist keine Epigonin, sie spielt nicht
nostalgisch mit einer aufgesetzten Maske, sie entdeckt ihre eigene
Billie Holiday in sich selber, und die ist eine Frau von heute, eine
erfahrene, souveräne Sängerin, die mit Standards und jüngeren
Titeln, mit Swing und Country-Balladen, mit Songs von Leonard Cohen
oder Josefine Baker, vor allem aber mit einer Reihe von herausragenden
Bluesnummern ihre eigene Geschichte erzählt.
"Sometimes
you´ve got to loose it all, before you find your way",
singt sie im kräftig swingenden DONT WAIT TOO LONG, eine Eigenkomposition,
die sie zusammen mit dem Produzenten des Albums, Larry Klein, geschrieben
hat. Larry Klein, der mit Joni Mitchell verheiratet war, mit Tracy
Chapman, Holly Cole oder Peter Gabriel gearbeitet hat, gibt dieser
Stimme einen Rahmen aus handgemachter Musik, von erstklassigen Sessionmusikern
eingespielt.
Da
gibt es Gitarren (Dean Parks), Piano, Hammond-Orgel (Larry Goldings),
Bass (David Piltch), Drums (Jay Bellerose), und die klassisch gedämpfte
Trompete (Lee Thornburn). Das ist betörend schlicht und klingt
noch immer nach Straßenmusik oder nach den Clubs, in denen Madelaine
Peyroux nach ihrem Abtauchen aufgetreten ist.
Ihrer
zweiten Heimatstadt Paris singt sie ein Liebeslied auf französisch
(J´AI DEUX AMOURS), mit dem die nach Frankreich ausgewanderte
Amerikanerin Josefine Baker nach dem Zweiten Weltkrieg die dort stationierten
US-Truppen unterhalten hatte. Mit dem Titelsong CARELESS LOVE ehrt
sie Bessie Smith, zu deren Repertoire der Song gehörte. Mit dem
Schlusslied THIS IS HEAVEN TO ME bekennt sie sich zu ihrem eigenen
Himmelsweg, der sie unten auf der Straße bleiben lässt,
so wie es das CD-Cover anzeigt: Da sitzt eine Frau in einer einsamen
Hinterhofstraße - vielleicht irgendwo in New York - auf einem
schlichten alten Holzstuhl, die nackten Füße auf dem Asphalt,
das bauschige Kleid hat die Farben der Umgebung, Madelaine Peyroux
hat ihren Kopf in die Hände gestützt und starrt mit großen
Augen den Fotografen an. Ihr Blick ist "relaxed und entspannt,
direkt und distanziert, lebenslustig und..."
Wir
wünschen uns, dass diese Sängerin mit Eigensinn nicht resigniert
und dass sie nicht wieder von der Musikindustrie fallen gelassen wird,
damit wir nicht nur alle acht Jahre an ihrem Weg teilnehmen dürfen,
der zum Blues zurückführt und ihn in die Gegenwart rettet.
©
Hans Happel, 2. Oktober 2004