Wird hier der Jazz zu Grabe getragen? Keineswegs. Obwohl das Intro zu dem Blue Note Album „Kaleido“ den Titel „jazz funeral“ trägt. Diese Beerdigung klingt nach rauer, Energie geladener Straßenmusik, und der musikalische Trauerzug, den der italienische Posaunist Gianluca Petrella anführt, scheint direkt in die Strassen von New Orleans zurückzuführen.
“Pussy Hair“, der erste Titel, spielt raffiniert mit Klangfarben und Rhythmen klassischer Dixieland-Musik, um sogleich damit zu brechen. Nicht zufällig nennen die vier italienischen Musiker der Gruppe „Indigo 4“ ihr neues Album „Kaleido“, denn was sie hier zusammenschütteln, ist ein Kaleidoskop-artiger, ein melodisch und rhythmisch bunter Mix aus historischen Stilrichtungen des Jazz, die mit neueren pop-musikalischen Anleihen unterfüttert sind.
Gemeinsam mit Francesco Bearzatti (Tenorsaxophon, Klarinette), Paolino Dalla Porta (Bass) und Fabio Accardi (Drums, Percussion) entwickelt Gianluca Petrella einen Sound, der von seinen Brüchen ebenso wie von seinem Witz und seiner Vorliebe für den Rückgriff auf konventionelle Muster lebt.
Das Quartett scheint die Vielfalt an Formen und Farben aus dem Ärmel zu schütteln, so locker und entspannt musizieren sie miteinander. Dabei achten sie auf äußerte Transparenz, halten die Balance zwischen virtuos vorgetragenen Soli und Ensemble-Spiel, und legen großen Wert darauf, dass ihre Musik ebenso ins Herz wie in die Beine geht. Diese Musiker haben keine Berührungsängste, sie wollen hörbar unterhalten, ohne dabei jemals flach und fade zu werden.
Petrella, Komponist fast aller der 15 Titel des Albums, setzt zwischen die eigenen Arbeiten zwei Stücke von Duke Ellington und Thelonious Monk. Damit ist der musikalische Rahmen gesteckt, aus dem sich das melodische und harmonische Material speist: Er liegt zwischen New Orleans- Jazz, Swing und Bebop.
Mit Hilfe einiger Gäste – darunter Steven Bernstein (Trompete) und Michele Papadia (Hammond- und Wurlitzer-Orgel) – entwickelt die Gruppe einen erstaunlichen Big-Band-Klang, der jedoch nie süffig wird. Auch gehen die Arrangements weit über traditionelle Klänge hinaus: Die Musiker von „Indigo 4“ arbeiten mit Samples und elektronischen Effekten, in den Schlussstücken „Low Tide“ und „Sheep Freak“ darf Gastsänger John De Leo mit tief schwarzer verräucherter Stimme sich – seinerseits kaleidoskop-artig - souverän zwischen Sinatra, Soul und Rap bewegen.
In „Filter Freak“ schließlich liefern sich Bass, Trompete, Posaune und Klarinette ein rasantes Rennen. Bei aller Virtuosität und Brillanz, die diese Musiker auszeichnet: Sie wollen in erster Linie erzählen, „Jazz has just left the building, and now is fighting against me“ heißt ein Titel und damit ist vielleicht ihr gemeinsames Programm beschrieben. Jazz ist nicht einzufangen, diese Musik ist nicht zu zähmen, sie will zurück auf die Straßen, und wer den Jazz spielen will, muss mit und um ihn kämpfen.
Gianluca Petrella und die Gruppe Indigo 4 sind auf dem besten Wege, den Jazz wieder so populär zu machen, wie er es mal war, und ihm die Power zu geben, die ihn vor kommerzieller Glätte schützt.
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Hans Happel, 16.03.2008