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Pop, Kunst oder beides?


Kubismus ist eine Kunstrichtung, in der die Natur auf geometrische Formen zurückgeführt wird. In die vermeintliche Unüberschaubarkeit natürlicher Körper zogen so gerade Linien, Ecken und Kanten ein - ein Versuch der Ordnung wie auch der Verfremdung mit irritierender Wirkung. Soweit das Lexikonwissen.

Oft genug erscheint es, als sei die Popmusik das Gegenteil von Kunst. Stars und vor allem Sternchen kommen und gehen, oft ohne Halbwertzeit, und die meisten ihrer Vertreter sind weit davon entfernt, auch nur annähernd eine Richtung, geschweige denn eine künstlerisch bedeutsame, begründet zu haben.

Die Pet Shop Boys sind dieser Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung. Als früherer Musikjournalist weiß Neil Tennant um die Mechanismen des Marktes. Deshalb wurden die Pet Shop Boys von Beginn an als Marke konzipiert, die Musik entsprechend inszeniert: Kostüme, Auftritte, Videoclips, Gesang, Interviews - nichts blieb dem Zufall überlassen.

Tennants nölige Stimme und die Computersounds von Chris Lowe drückten der elektronischen Popmusik der späten 80er und 90 Jahre ihren Stempel auf: "frostige Schönheit, lässige Modernität, verträumte Distanz, elegante Melancholie" attestierte etwa der "Spiegel" dem unverwechselbaren Konzept des britischen Duos, das allzu oft echtes Gefühl durch Pathos ersetzte, wahre Leidenschaft durch Sarkasmus und böse Ironie. Dass ausgerechnet ihre Coverversion des Village People-Klassikers "Go West" zur Hymne der Revolutionen in Osteuropa wurde, hat vermutlich niemanden so erheitert wie die Pet Shop Boys selbst.

Songs wie "Suburbia" (über das Spießertum der Vorstadt), "It's a sin" (Unterdrückung des Individuums durch die Religion) und die Auseinandersetzung mit dem Großbritannien der neokapitalistischen Thatcher-Ära waren für eine Dancepop-Band eher ungewöhnliche Themen, doch in dieser Hinsicht sind die Pet Shop Boys bis heute konsequent geblieben.

Später wurde ihrer besonderen Ästhetik der Stempel "schwule Musik" aufgedrückt. Ein Prädikat, das von Tennant zu Recht als diskriminierend abgelehnt wird: "Ich halte den Begriff für ein heterosexuelles Konstrukt: Wer von "schwuler Musik" redet, drückt lediglich wohlwollend seine Homophobie aus, weil er kategorisiert", sagte er jüngst in einem Interview.

Heute, im Jahr 2007, leben Tennant und Lowe natürlich hervorragend von und mit ihren großen Hits. Sechsundzwanzig von ihnen, darunter praktisch alle wirklich großen Songs wie "West end girls", "Se a vida e" bis "Left to my own devices" gehörten zur Setlist ihres Auftritts am 14. November 2006 im "Auditorio Nacional" von Mexico City.

Und damit sind wir wieder beim "Kubismus". Der steht als Motto über der Bühnenshow - einer minimalistisch inszenierten Optik mit klaren geometrischen Formen, in der mal stille, mal bewegte Bilder, mal Tänzer, mal Tennant und Lowe selbst, wie Projektionen ihrer selbst wirken. Im Gegensatz dazu ist der Sound gewohnt voll - um nicht zu sagen: bombastisch.

In musikalischer Hinsicht waren die Pet Shop Boys niemals Anhänger der Reduktion. Andererseits aber doch: Denn den donnernden Discosound erzeugt auch weiterhin kein Orchester, keine Band, nur selten ein Backgroundchor: alles kommt aus dem Computer, nur der Gesang ist live, aber dennoch nicht minder perfekt als auf einem Studioalbum. Welcher anderen Band würde man eine solche Playback-Show wohl durchgehen lassen?

Auch in dieser Hinsicht sind die Pet Shop Boys eine Ausnahme. Dass sie innerhalb der Popmusik eine eigene Ästhetik, vielleicht sogar eine eigene Kunstrichtung begründeten, wird man vielleicht erst mit Abstand im Detail erkennen. Da geht es ihnen wie den zu Zeiten ihrer Karriere dramatisch verkannten Kollegen von Abba. Deren Bedeutung wurde erst Jahre nach der Trennung richtig eingeordnet. Doch auch dieses Schicksal ist in der Kunst keineswegs unbekannt, und so gesehen ist der Ruhm der Pet Shop Boys noch ausbaufähig.

© Michael Frost, 19.05.2007

 


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