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Rückkehr von Kubas
verlorenem Sohn


In die Betrachtungen zum 50. Jahrestag der kubanischen Revolution am 1. Januar 2009 mischt sich - noch immer - verklärende Bewunderung mit nüchterner Analyse. Man lobt Kuba für seine Standhaftigkeit gegenüber den USA, sein Bildungswesen, das Gesundheitssystem, das "einzigartig" sei unter den lateinamerikanischen Staaten. Über die Armut und die systematische Verletzung der Menschenrechte wird dagegen häufig nur in Fußnoten berichtet.

Dabei tragen die Kubaner selbst diese Ambivalenz wohl auch in sich. Raul Paz verließ Kuba während seines Musikstudiums in Havanna. Nach einer Auslandsreise kehrte er nicht zurück, er hatte beschlossen, nach Frankreich zu gehen. In Paris beendete er nicht nur das Studium, sondern begann auch eine musikalische Karriere, die ihn in Europa zum erfolgreichsten Exil-Kubaner machte.

Seine Mischung aus Bolero und Salsa, Latin Pop und Hiphop beförderte die kubanische Musik in die Gegenwart. Vor ihm kannte man außerhalb Kubas praktisch nur die Legenden des Buena Vista Social Club mit ihren zum Teil jahrzehntealten Songs. So hatte Paz alle Möglichkeiten, eine neue, junge Bewegung kubanischer Musiker loszutreten, und der Erfolg beim europäischen Publikum gab ihm recht.

Doch etwas fehlte: Die Bestätigung des heimischen, kubanischen Publikums. So konnte Raul Paz erst 2006, nach langwierigen Verhandlungen, für einen längeren Zeitraum nach Kuba zurückkehren. Dort entstand sein Album "A casa" (Zuhause). Im Jahr darauf erhielt er dann die lang ersehnte Auftrittserlaubnis für drei Konzerte in Havanna und Pinar del Rio, die für die seit Herbst 2008 vorliegende, aufwändig gestaltete, CD/DVD-Veröffentlichung die Grundlage bildete.

Raul Paz trat in Kuba sowohl mit heimischen als auch französischen Musikern auf. Der satte Bigband-Sound bildet den Hintergrund für eingängige Rhythmen, einen beständigen Groove und die natürliche, unverfälschte und ungekünstelte Gesangsstimme Paz'.

Fast zu harmlos schon erscheinen bisweilen seine Harmonien, zu harmlos, um sich das langjährige Einreiseverbot erklären zu können, doch der einschmeichelnde Latin-Sound steht im Gegensatz zu manchdem Songtext, der vom kubanischen Publikum nur zu gut verstanden wird: "Revolución", heißt es im gleichnamigen Song, mit dem Paz seine Kuba-Konzerte eröffnete, "Revolution - viele Menschen suchen nach Lösungen, Revolution - denken mehr als sie sagen".

Das Publikum feiert seinen verlorenen Sohn enthusiastisch. Raul Paz scheint ein Wegbereiter des jungen Kuba zu sein, jemand, der sich selbstbewusst und mit großer Selbstverständlichkeit der Einschüchterung verweigert. "En vivo" ist nicht nur ein mitreißendes Konzert-Dokument, sondern dokumentiert auch Paz' Unwillen, sich länger mit dem Exilanten-Dasein zufrieden zu geben: Er fordert seinen Platz in der Musikszene seines Landes ein. Inwieweit er dabei auch Kompromisse eingehen muss, bleibt offen. Jedenfalls: Der Titelsong seines ersten, nach seiner Ausreise nach Frankreich produzierten Albums, war nicht auf der Setlist seiner Konzerte in Havanna und Pinar del Rio. Der lautete nämlich: "Cuba libre".

 

© Michael Frost, 04.01.2009


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