Kaum
eine Sängerin wurde in der Vergangenheit so mit Häme und
Spott überschüttet wie Sinéad O'Connor. Tatsächlich
bot die Irin in der auf Stromlinienform getrimmten Musikbranche immer
wieder reichlich Angriffsflächen; teils als Provokation, teils
aus Naivität. Zuletzt wollte sie sich ganz aus der Öffentlichkeit
verabschieden, ließ sogar ihre offizielle Website schließen
- um sich alsbald aus Jamaica mit einem Reggae-Album zurückzumelden
("Throw down your arms").
Vielleicht
rührt die Ungeduld der Welt mit einer ihrer markantesten Stimmen
daher, dass sie so unberechenbar ist und ihr immer wieder neue, unvorbereitete
Kehrtwendungen zumutet? Das könnte auch die Skepsis erklären,
die sich wie ein roter Faden durch die ersten Rezensionen - auch diese
- ihres neuen Coups zieht.
Denn
mit "Theology" zeigt sich erneut - zum wie vielten Mal?
- eine neue Seite Sinéad O'Connors. Ihr Hang zur Spiritualität
und religiöser Einkehr war zwar bekannt und immer wieder Gegenstand
der Berichte über sie, doch ein Album, dessen Lieder auf der
Auseinandersetzung mit biblischen Psalmen beruhen, gab es bislang
freilich nicht.
"Theology"
erscheint als Doppelalbum, enthält jedoch lediglich ein Dutzend
neuer Songs, darunter neben ihren eigenen Kompositionen ein Song von
Curtis Mayfield und ein Lloyd Webber-Stück aus "Jesus Christ
Superstar".
Die
meisten Stücke gibt es zweifach: in einer akustischen, fast ausschließlich
Gitarre-begleiteten Fassung ("Dublin Sessions"), und in
einer von ihr als "dub versions" bezeichneten Aufnahme mit
umfänglicher Begleitung ("London Sessions"), zu der
auch ein komplettes Ensemble aus Streich- und Blasinstrumenten gehört.
Die
"London Sessions" mit ihren Arrangements zwischen Elektropop,
Soul und Folk bieten immer wieder berückend schöne Augenblicke
einer ruhig und ausgeglichen wirkenden Sinéad O'Connor. Sicherlich
hat sie in der Vergangenheit schon stärkere Songs geschrieben,
doch auch "Theology" enthält solche Perlen, allen voran
"If you had a vineyard". Und sowieso überzeugen auf
"Theology" das Soundkonzept und die dichte, durch alle Songs
aufrecht erhaltene Atmosphäre.
Vor
allem den akustischen "Dublin sessions" merkt man die Fragilität
der Interpretin an. Sinéad O'Connor ist keine Kirchentags-Missionarin,
die mit pathetischer Inbrunst Gruppenhysterie auslösen möchte.
Auch die Stimmgewalt der Gospelchöre ist nicht ihre Sache, sondern
die leise, bedachtvolle, Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst
- und mit Gott. Selbst das mag man in der heutigen Zeit, in einer
vermeintlich aufgeklärten Welt, verschroben und skurril finden
- eine Berechtigung als individueller Ausdruck hat es allemal.
Doch
auch darüber hinaus ist Sinéad O'Connor uns wahrscheinlich
näher, als wir annehmen. "'Theology' ist mein persönlicher
Versuch eine Antwort auf eine Zeit, in der wir alle leben, zu finden",
sagt sie. Man muss ihre Antwort nicht teilen. Aber die Frage stimmt.
©
Michael Frost, 24. Juni 2007