Seit Naked Raven erstmals den Weg aus dem fernen Australien nach Europa antraten, hat die Band mehrere Häutungen erlebt. Von der vierköpfigen Besetzung, die 2000 das Album "Harms way" einspielte, ist heute nur noch Percussionist James Richmond an Bord. Allerdings war es der Band gelungen, nach dem Ausstieg von Sängerin Erica Grundell einen mindestens ebenbürtigen Ersatz zu finden: Janine Maunder ist heute Kopf, Herz und Stimme von Naked Raven, und das Repertoire der Band ist ganz auf ihr helles, melancholisches Timbre zugeschnitten.
Der Weggang von Russ Pinney wog dagegen wohl schwerer: Er war bis zu seinem Ausstieg 2004 der musikalische Kopf der Band, Autor der meisten Songs, die das unverwechselbare Profil der Band prägten: Atmosphärischer Kammermusik-Pop, elegisch und elegant, getragen von stiller, flüsternder Sinnlichkeit.
Die Naked Raven-Songs dieser Jahre waren allesamt kleine Sinfonien, dramaturgisch perfekt aufgebaut, die beim Publikum nicht selten atemlose Stille erzeugten. "Holding our breath", Albumtitel von 2004, damals allerdings schon ohne Russ Pinney, erschien als die perfekte Beschreibung für die Atmosphäre eines Naked Raven-Konzerts, die sie vor allem ihrer streng akustischen, bisweilen gar klassischen, Ausrichtung verdankt. Geige (Stephanie Lindner), Cello (Caerwen Martin, auch sie verließ die Band inzwischen) und Klavier (Maunder) sind die beherrschenden Instrumente, ergänzt um James Richmonds fulminantes Percussion-Spiel.
Nach dem Fortgang von Pinney und Caerwen Martin waren Naked Raven auf Trio-Größe geschrumpft. Janine Maunder ist seitdem auch die Autorin der meisten neuen Songs. Mit ihr wurde der Sound der Band insgesamt reduzierter, melancholischer, introspektiver. Häufig überwanden ihre Kompositionen das übliche Pop-Schema von Strophe und Refrain, was die Musik anspruchsvoller erscheinen ließ, gleichzeitig jedoch auch weniger eingängig. Was auf Alben wie "Harms way" und "Wrong girl" noch durchgängig möglich war, nämlich als Zuhörer in der Schönheit der Melodien schwelgen zu können, wurde mit "Holding our breath" und mehr noch auf "Never quite" schwierig.
Und auch den neuen Songs, die Maunder für die erste Best-of-Compilation von Naked Raven schrieb, fehlt die Richtung. Auf "Sunday Best" besteht zusätzlich das Problem, dass sie neben Band-Klassikern wie "Paperboy", "Skin", "Closing down", "Drawn to you" oder auch dem unprätentiösen "August blue" (allesamt Pinney-Kompositionen) bestehen müssen - und das gelingt "Days of the week", "Grand", "White flag" und vor allem dem Opener "Mandolin" nicht. Hier überschreitet die Band die Grenze zwischen Melancholie und Weinerlichkeit, unverständlicherweise gleich zum Auftakt von "Sunday Best".
Man vermisst die Zuspitzung des Sounds, die Voraussetzung für diese besondere Naked-Raven-Atmosphäre ist, und so mäandert manche Melodie scheinbar ziellos und allzu gleichförmig umher.
Für "Sunday Best" haben Naked Raven alle frühen Stück aus den Jahren, als Janine Maunder noch nicht zur Band gehörte, neu eingespielt. Zusammen mit den späteren Aufnahmen entstand so ein ganzheitliches Bild - trotz der verschiedenen Häutungen, die die Band hinter sich hat.
Offen bleibt lediglich die Frage, wie es denn anschließend weitergehen wird. Doch bis es zu einer Antwort kommt, kann man Band wieder auf der Bühne erleben: "Sunday Best" wird im September 2008 auf einer ausgedehnten Deutschland-Tour live vorgestellt.
© Michael Frost, 05. September 2008
Naked Raven Konzertdaten