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Duo mit Kultpotential


Schon häufiger wurde an dieser Stelle der Niedergang der italienischen Musikszene beklagt. In den letzten Jahren kamen von italienischen Musikern kaum noch nennenswerte Impulse - besonders niederschmetternd angesichts ihres ehedem großen Einflusses auf Klassik, Jazz, Filmmusik, Pop, Folk, von den großen cantautori der 70er und 80er Jahre ganz zu schweigen.

Parallel hat das internationale Interesse spürbar nachgelassen. Selbst die Alben des gefeierten Rappers und Weltmusikers Jovanotti werden in Deutschland gar nicht mehr, oder nur mit großem zeitlichen Abstand und ohne jede Promotion veröffentlicht. Und im Falle des neapolitanischen Cantautore Joe Barbieri bedarf es schon des ganzen unternehmerischen Muts eines enthusiastischen Independent-Labels, um ihn auch diesseits der Alpen bekannt zu machen.

Doch es geht auch anders, wenn auch wiederum mit Verspätung und über Umwege: "Musica Nuda" nennt sich das Duo aus Petra Magoni und Ferruccio Spinetti, das nach zwei furiosen Alben und wahnwitzigen Auftritten in Italien und Frankreich unter die Fittiche der französischen Dependence von Blue Note Records geriet, wo nun ihr neues Album "55/21" erscheint.

Dem Duo kam zugute, dass man seine Musik für Jazz halten könnte, doch tatsächlich ist sie pure Anarchie, bedient sie sich doch hemmungslos in den Archiven aller nur denkbaren Stilrichtungen zwischen italienischer Folklore, Jacques Brel, Antonio Carlos Jobim und den Beatles. Zwischendurch wird auch fleißig selbst komponiert und gedichtet, und auch hier ziehen Magoni & Spinetti sämtliche Register.

Die Gründung von "Musica Nuda" geht dabei auf einen Zufall zurück: Petra Magoni war in der Toscana auf Solo-Tournee, als ihr Begleitgitarrist erkrankte. Also fragte sie Ferruccio Spinetti, ob er kurzfristig einspringen würde. Spinetti ist Mitglied der Folkpop-Band Avion Travel - allerdings nicht als Gitarrist, sondern als Kontrabassist. Aus der improvisierten Situation entwickelte sich zur Überraschung beider ein klares Konzept. Heute ist Musica Nuda das schillerndste Duo seit Les Rita Mitsouko - und mit einiger Sicherheit das einzige, das ausschließlich aus Gesang und Kontrabass besteht.

Auch "55/21" kommt weitgehend ohne zusätzliche Begleitinstrumente aus. Nur vereinzelt sind Gastmusiker zu hören: Jazz-Posaunist Gianluca Petrella, der französische Gypsy-Swing-Interpret Sanseverino (Gitarre) und Petra Magonis Lebensgefährte Stefano Bollani (Klavier). So bleiben Bass und Gesang im Mittelpunkt und liefern sich bisweilen atemberaubende Gefechte ("Bocca di rosa"), entwickeln umwerfend charmante Momente ("La canzone dei vecchi amanti", eine italienische Fassung von Brels "Chanson des vieux amants") und lassen große Momente der Filmgeschichte wieder auferstehen (Mancinis "It had better be tonight"/"Meglio stasera").

Dabei verbinden sie die besten - und lange vermissten - Eigenschaften italienischer Kunst: Musica Nuda ist urkomisch, ohne dabei den musikalischen Anspruch aufzugeben, temperamentvoll und virtuos, respektlos und anarchisch, aber trotzdem ist jede Bearbeitung eine Verneigung vor dem Original - manchmal freilich eine ironische. So lassen sich selbst sattsam bekannte Evergreen neue Seiten abgewinnen, die das Duo mit seinen eigenen Kompositionen noch weiter verstärkt.

Musica Nudas wahnwitzigen Bearbeitungen von Beatles-Songs, The Police oder Serge Gainsbourg wird man, hat man sie einmal gehört oder gesehen, nicht mehr los. Die Frage, ob man es dabei nun mit Pop, Jazz, Folk oder womit auch immer zu tun hat, gerät dabei zur akademischen Diskussion, an der Magoni und Spinetti vollkommen desinteressiert sind. Sie nutzen die Zeit lieber, den nächsten Klassiker ohne mit der Wimper zu zucken vom Sockel zu heben - so wie in obigem Video. Sehen Sie selbst, wie lange Sie benötigen, um überhaupt darauf zu kommen, welcher ahnungslose Disco-Klassiker hier in die Fänge der beiden Anarcho-Künstler geraten ist
(Quelle: youtube.de)
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© Michael Frost, 04.10.2008


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