Kürzlich
fiel der Blick während des Zappens durch die Kanäle auf
eine ARTE-Sendung. Ein klassisches Konzert, so schien es, dirigiert
von einem distinguiert wirkenden, älteren Herrn mit großer
Brille. Hochkonzentriert schickte er sein Orchester auf die Reise,
und zwar keineswegs durch klassische Partituren, sondern durch ein
überraschend zeitgenössisches Repertoire, das allerdings
durch aus Klassikern zu bestehen schien: Klassiker der Filmmusik eben.
Es
war Ennio Morricone, der wohl größte Filmkomponist der
Geschichte, bei einem Auftritt in München von 2004, unter dem
Motto: "Morricone dirigiert Morricone". Zwischen den einzelnen
Stücken erfuhr man Dokumentarisches: Wie dieser unvergessliche
Dreiton aus "The Good, the Bad and the Ugly" entstand. "Ein
Koyote", erklärt Morricone Achsel zuckend, als verstände
er den Rummel um diese Musik noch immer nicht, "das ist der Schrei
des Koyoten".
Alles,
so Morricones Botschaft, ist so einfach. Die Mundharmonika in "Das
Lied vom Tod": "Das Motiv besteht aus drei Noten, weil in
der entscheidenden Szene ein kleiner Junge gezwungen wird, auf einer
Mundharmonika das Lied vom Tod zu blasen, während er um sein
Leben ringt und er praktisch keine Luft mehr bekommt. Wenn man nicht
mehr atmen kann, schafft man nicht mehr Töne." So einfach
ist das also.
Morricones
Geheimrezept, so scheint es, ist sein Mut zur Simplifizierung. Je
spannender der Film, je komplexer seine Handlung, je schwieriger das
Sujet - umso einfacher und unkomplizierter strickte er seine Musik
dazu. Zum Beispiel für die provokanten Filme Pasolinis, der die
Musik gern in den direkten Kontrast zur Handlung stellte: "Wenn
er gesellschaftliche Abgründe anprangerte, sagte er zu mir: Schreib
mir dafür einen Foxtrott'".
Im
kommenden Jahr wird Ennio Morricone, der gebürtige Römer,
80 Jahre alt. Er schrieb die Musik für die unglaubliche Zahl
von 400 Filmen, daneben Kammermusik und experimentelle Musik (die
er immer wieder als Grundlage auch seiner filmmusikalischen Ideen
bezeichnete). Das vielleicht schlagkräftigste Argument gegen
die Bedeutung des Oscar als wichtigstem Filmpreis ist, dass er ihn
nie erhielt - bis zu diesem Jahr, als das schlechte Gewissen der Academy
obsiegte und Morricone der "Ehren-Oscar" für sein Lebenswerk
verliehen wurde.
Dieses
Lebenswerk passt natürlich nicht auf eine CD, und auch nicht
auf das 3er-Set, das dieser Tage unter dem Titel "Morricone -
50 Filmklassiker" veröffentlicht wurde. Aber immerhin: Die
Sammlung trägt dem - oft verkannten - Umstand Rechnung, dass
nur 30 seiner 400 Filmmusiken Western waren. Neben den Klassikern
des Italo-Western, bei denen Morricones Schulfreund Sergio Leone Regie
führte, stehen so herausragende Beispiele verschiedener Genres:
"Das Netz der tausend Augen" (1971) unter der Regie von
Francesco Rosi, Bertoluccis grandiose Italien-Saga "1900"
(1976), das Filmkunstdrama "Cinema Paradiso" von Giuseppe
Tornatore (1988) oder "La cage aux folles" (1985).
Das
Set beleuchtet in dieser Bandbreite die Periode, die vielleicht einmal
als Morricones wichtigste Schaffenszeit betrachtet wird. Dennoch hätten
sowohl ältere (etwa die Pasolini-Aufnahmen) als auch die neueren
Kompositionen, etwa für "Die Legende vom Ozeanpianisten",
Fellinis "La voce della luna" (1990) oder "Erklärt
Pereira" (1995), Marcello Mastroiannis letztem Film, durchaus
für eine vierte CD gereicht.
Doch
die wohl sträflichste Auslassung betrifft die herausragendste
Zusammenarbeit des unschlagbaren Duos Leone/Morricone: "Es war
einmal in Amerika", das große New York-Epos mit Robert
de Niro und James Woods, Leones letzter Regiearbeit überhaupt.
Doch
jede Morricone-Veröffentlichung muss mit dem Vorwurf der Auslassung
zurechtkommen - eine Schau des Gesamtwerks sprengt jeden Rahmen. Doch
als Einstieg, fröhliches Ratespiel in geselliger Runde ("Das
ist doch aus ...???") und Appetithappen für 50 weitere Filmklassiker
dient diese Veröffentlichung allemal.
(Zitate:
Ennio Morricone im Interview
mit dem ARTE-Magazin, Mai 2005 www.
arte.tv)
©
Michael Frost, 10.06.2007