Es
ist wohl das bekannteste Lied, das Brasiliens
Hang zum Kreieren unverkennbarer Melodien hervorbrachte:
"Garota de Ipanema", bei uns als "Girl
von Ipanema" bekannt. Ein Lied, das nicht
nur in Brasilien alle Kolibris von den Palmenblättern
pfeifen, sondern, das weltweit bekannt genug ist,
um als südamerikanisches Volkslied angesehen
zu werden.
Der
Komponist des Liedes Antonio Carlos Jobim ist
der bekannteste Vertreter der Bossa Nova, jener
lasziven Melancholie, die so unaufgeregt und entspannt
einen bemerkenswerten Teil der brasilianischen
Lebenseinstellung ausdrückt, das amerikanische
Großstadtmusiker schon Mal neidvoll bemerken:
"Wie machen die das nur. Bei
uns wird alles so hektisch, heiß und aggressiv
produziert. Die Brasilianer hingegen kochen das
selbe Gericht auf halber Flamme und es ist viel
aromatischer."
Die
Sängerin Paula Morelenbaum hat sich schon
vor Jahren der Bossa Nova verschrieben und gemeinsam
mit ihrem Mann, dem meisterhaften brasilianischen
Cellisten und Arrangeur Jaques Morelenbaum zwei
CD's produziert, die Jobim gewidmet waren. "Quartetto"
zusammen mit Jobim Nachwuchs Paulo und Daniel
und "Casa" gemeinsam mit dem japanischen
Pianist Ryuichi Sakamoto.
Während
die Hommage an Antonio Carlos Jobim den Originalkompositionen
treu blieb, hat sich Paula Morelenbaum auf ihrem
neuen Album "Berimbaum" ein paar Schritte
weiter in die Gegenwart gewagt. Diesmal widmet
sie sich auch nicht ausschließlich den Melodien
der Bossa Nova, sondern deren Lyrik. "Berimbaum"
beinhaltet ausschließlich Lieder, deren
Texte von Vinicius de Moraes stammen. Moraes ist
an der Beliebtheit des "Girl's von Ipanema"
mindestens genauso Schuld wie Jobim.
Schließlich sind es seine lyrischen Träumereien
vom milchkaffeefarbenen Mädchen Rio de Janeiros,
die Jobim vertonte und die João Gilberto
mit Gitarre und einer Stimme von obszönen
Schmelz in die Ohren einer Zeit gurgeln ließ,
die voll war von James Bond, Martini und der Idee
komplikationsfreier Frauen, man hatte ja schließlich
noch die Welt von fiesen Strolchen zu reinigen.
Astrud Gilberto, die weibliche Stimme der Bossa
Nova, passte mit ihrer hingebungsvollen Verschlafenheit
ganz hervorragend in dieses Bild.
An den Träumereien hat sich im Jahre 2006
nicht viel geändert. Statt Martini gibt es
Alcopops, man guckt immer noch James Bond, auch
wenn er nicht mehr ganz zeitgemäß ist,
denn sollte den heute nicht besser eine Frau spielen?
Verschlafen indes klingt die Bossa Nova kaum noch.
Paula Morelenbaum geht recht forsch mit dieser
Musik um. Drum-Maschinen, Elektrobeats, deutlich
hörbare Percussion, Scratches und Loops,
um ein paar Töne gegenwärtiger Musikherstellung
zu erwähnen, mit denen die DJ's von Bossacucanova
die Songs ziemlich aufmischen und schmuseweiche
Songs in schwindelerregende Clubsounds verwandeln.
Das
fängt schon gut an, mit dem Song "Tomara".
Dunkle Bässe vereinigen mit einer Accusticgitarre.
Langezogene Orgelnölereien und die aufregende
Stimme Paula Morelenbaums treffen aufeinander.
Ein Baritonsaxofon, dass sich nicht zu sehr in
den Vordergrund drängelt, sondern ruhig ein
paar Sequenzen hinzufügt, ja fast percussiv
genutzt wird. Und dazu eine zügig gespielte
Querflöte, die ich aus irgendeinen Grund
deutlicher mit Brasilien in Verbindung bringe,
als eine Sambatrommel. Vielleicht, weil sie so
eine feucht, schwülen Klangfarbe besitzt.
Ich muss jedenfalls immer an Regenwald denken,
wenn ich Querflöte höre.
Das Gefühl verstärkt sich mit dem zweiten
und dritten Lied. "Consolação"
ist eine Komposition von Baden Powell, ebenso,
wie das folgende "Berimbaum". Vinicius
de Moraes und Baden Powell begründeten damit
eine fruchtbare Zusammenarbeit, die lange anhielt.
Hier lässt Paula Morelenbaum nicht nur satte
Elektronik zum Zuge kommen, sondern unterstützt
ihre Stimme zusätzlich durch komplizierte
Bläserarrangements. Das Tempo ist zügig,
aber nicht wild. Die Behäbigkeit der Bossa
Nova bleibt erhalten. Der vierte Titel ist der
eigentliche Höhepunkt der CD "Canto
de Ossano", wieder eine Komposition von Baden
Powell gehört zu den abgebrühtesten
Tanznummern, die ich in der letzten Zeit gehört
habe. Nicht zu überhören, dass die Komposition
schon ein paar Jahre auf den Buckel hat, sich
aber weigert, alt zu werden. Wieder ist es die
Bläsersektion, die frischen Wind reinbringt.
Doch den Hauptteil an der Frische dieses Songs
tragen hier wohl die elektroakustischen Spielereien
von Antonio Pinto und Bossacucanova, drei DJ's,
die die Bossa Nova in die brasilianischen Discotheken
des 21. Jahrhunderts gebracht haben.Ab diesen
Zeitpunkt beginnt die CD wieder ruhiger zu werden.
Die Drums und Beats rutschen erkennbar in den
den Hintergrund. Akustische Gitarre und Tenorsaxophon
lassen, wie die Carlos Lyra Komposition "Você
e eu" klingen, wie bei Getz und Gilberto.
Die Bossa Nova wirkt wieder etwas althergebrachter,
jazziger, verrauchter. Das Album beschließt
ein Remix von "Canto de Ossano". Nicht
so gefällig, wie in der ersten Version auf
dieser CD, aber durchaus zum Körperschütteln.
"Berimbaum" ist Paula Morelenbaums eigenwilliger,
sehr dynamischer Umgang mit der Bossa Nova. Zeitweise
mitreißend und cool. Schade nur, das Paula
Morelenbaum das vorgegebene Tempo nicht bis zum
Ende des Albums durchhält und sich nach der
Hälfte der CD darauf beschränkt ein
paar Synthesizer zu bemühen, damit ihr der
Zeitsprung in die Gegenwart nicht abhanden kommt.
Trotz dieser Einschränkung wirkt die CD "Berimbaum"
belebend und beweist einmal mehr, dass Brasiliens
Musik seit Jahrzehnten frei ist von jedwelchen
Alterserscheinungen.