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Von allen Lasten befreit


Wie gewonnen, so zerronnen. Kaum, dass sich die Nachricht von der bevorstehenden Veröffentlichung eines neuen George Michael-Albums - immerhin das erste Studioalbum seit acht Jahren - verbreitet hatte, da zog der Sänger auch schon die Notbremse. Nach "Patience" werde es keine weiteren Alben geben, verkündete er in der Presse. Er wolle sich dem Medienzierkus entziehen und neue Songs künftig nur noch per Download auf seiner Website zur Verfügung stellen - gegen eine Spende für soziale Projekte.

Er kann es sich leisten. George Michael hat alles erreicht, was im Musikbusiness überhaupt möglich ist. Aber gerade sein Beispiel zeigt, wie hart dieser Erfolg erkauft ist. George Michael, der seine Karriere als Hälfte des 80er-Pop-Duos Wham begann, wurde in dieser Rolle zur Ikone der Popper-Bewegung, die von den damals vorherschenden Gegenströmungen - Wave in England - Rap und Breakdance in den USA - bestenfalls belächelt und als Plastik-Pop abgetan.

Dass er heute nicht zwischen Retro- und Revival-Shows tingeln muss, verdankt er seiner Wandlung zu einem der professionellsten und ausdrucksstärksten Pop-Interpreten überhaupt. Sein bislang letztes Studioalbum "Older" ist vermutlich eine der bedeutendsten Produktionen in der Sparte "Pop" überhaupt - Lichtjahre entfernt von der Einweg-Bedeutung dessen, was derzeit in allen Radiostationen als "Pop" zu hören ist.
Und dieselben Qualitäten sind es, die auch auf "Patience" noch einmal zu voller Entfaltung gelangen. George Michael erfindet sich darauf nicht neu, aber er arbeitet hörbar an den Prinzipien des eigenen Sounds, und die bewegen sich zwischen kunstvollen Pop-Arrangements, groovendem Soulpop - und ruhigen, nachdenklichen Balladen.

Sein Mut zeigt sich bereits zu Beginn des Albums: Der Titelsong und Opener "Patience" ist eine traurige Ballade, allein mit Klavierbegleitung. Jeder andere Musiker hätte diesen Song vermutlich an das Ende der CD gestellt und sich für einen eingängigeren Auftakt entschieden. George Michael hat solch marketingstrategischen Überlegungen nicht mehr nötig: er entscheidet nach eigenen Beweggründen.

Es scheint, als habe ihn sein ungewolltes Outing durch die Polizei von Los Angeles von einer Last befreit. Vorbei die Zeit des Versteckens und der Anpassung. Sein erstes "Bekenntnis" als Homosexueller erfolgte in der Zeitung eines britischen Obdachlosenprojekts, dem er dadurch eine Spitzenauflage beschert haben dürfte.

Seither nimmt George Michael überhaupt kein Blatt mehr vor den Mund. Im Gegenteil. In seinem Song "Shoot the Dog", 2003 als Single veröffentlicht und jetzt auch auf "Patience" zu hören, überholt er selbst gestandene Polit-Rocker wie Radiohead oder U2 von links, indem er Tony Blair wegen seiner Beteiligung am Irak-Krieg direkt angreift.

Ähnlich unverblümt geht es auch bei den Themen Liebe und Sex zur Sache, so in "Freeek", ebenfalls bereits als Single bekannt, auf "Patience" gibt es eine neue Version des Songs, außerdem "American Angel", eine Liebesbezeugung Michaels an seinen texanischen Freund, unterlegt mit einem sanft groovenden Funk-Rhythmus.

"American Angel" ist vielleicht einer der Schlüssel zum George Michael-typischen Sound. Oberflächlich betrachtet wirkt der Song einfach, reibungslos, fast banal. Doch das Understatement hat Methode, denn der Song bleibt im Ohr hängen, und erst nach mehrfachem Hören begreift man die ganze Kunstfertigkeit und Detailliebe der Arrangements, die ständig variiert und verändert werden, jeweils einer inneren Struktur folgen und deshalb eine ungeahnte Tiefenschärfe entfalten - die man zunächst nur unbewusst wahrnimmt.

George Michael bedankt sich im Booklet bei seinen Fans für ihre "Patience" - Geduld - beim Warten auf dieses neue Album, an dem er insgesamt fünf Jahre arbeitete. Bis zum ersten Download-Song auf georgemichael.com ist hoffentlich weniger Geduld vonnöten.

© Michael Frost, 19. März 2004

 

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