Lässt
sich wirklich noch irgendetwas Neues zu Sir Paul McCartney sagen?
Er hat ein neues Album veröffentlicht, ein Album, mit dem er
seinen 65. Geburtstag begehen will, und dies in aller Öffentlichkeit,
denn es ist die Kaffeehaus-Kette Starbucks, die er weltweit mit der
Vertreibung seiner Musik beauftragt hat.
Wenn
Paul am 18. Juni Geburtstag feiert, dann wird in 10. 000 Kaffee-Filialen
weltweit sein neues Video mit Natalie Portman laufen, es soll ein
"global listening event" werden, mit dem er Musikgeschichte
schreiben möchte, und das erinnert wohl nicht zufällig an
die Europa weite Ausstrahlung von "All you need is love"
vor genau 40 Jahren im Sommer 1967.
Aber
natürlich wäre jeder Vergleich ungerecht. Die Zeiten sind
ganz anders, der Protest, alles Blumenkindermäßige, ist
längst raus, und jetzt hat ein global player den Meister der
60-er Jahre im Griff. Ist das schlimm? Wer 65 wird, muss nicht mehr
Revoluzzer sein, er muß auch nicht mehr beweisen, was er kann,
vor allem dann nicht, wenn er mit einigen seiner Songs Musikgeschichte
geschrieben hat und nicht nur "Yesterday" unvergesslich
bleiben wird.
Paul
McCartney ist ein Mozart des 20. Jahrhunderts, er hat vor 50 Jahren
seinen Stil gefunden, dem nachgesagt wird, ein geschickter Mix aus
Blues, sanften Balladen, RocknRoll gewesen zu sein, dem immer auch
- nach dem Bruch mit seinem Partner John - Verseichtung und Verwässerung
vorgeworfen wurde.
All
das ist natürlich auch auf dieser allerneuesten CD zu hören,
die Paul "memory almost full" getauft hat, denn die Songs
erzählen nicht nur von Kindheits- und Liverpool-Erinnerungen,
der musikalische Stoff und die musikalische Form des Medleys - für
einen Teil der Songs - erinnern an alte Beatles-Tage. Das ist anhörbar,
handwerklich gut gemacht, da gibt es manche raffinierten Feinheiten,
etwa in dem hübschen "Feet in the Clouds", das als
Hommage an die verspielt-komplexen Klangbilder Brian Wilsons endet,
eines großen Zeitgenossen McCartneys, der nur zwei Tage nach
Paul seinen 65. Geburtstag feiert. Und es gibt ein herzerwärmend-ohrwürmiges
"You tell me", mit dem man gut leben kann, denn es weckt
die Erinnerung an so viele schöne alte Beatles-Songs.
Paul
gibt auf seiner Homepage zu, dieses Album schon 2003 begonnen und
dann für sein darauf folgendes Projekt "Chaos and Creation"
(erschienen im September 2005) liegen gelassen zu haben, so wurde
das Ganze ein Mix aus älterem und neuerem Material, was dem Album
nicht gut bekommen ist, denn manche Songs wirken wie dringend benötigte
Lückenfüller. Aber warum überhaupt solche Maßstäbe
anlegen?
"Hey
Jude" beispielsweise ist unerreichbar, da kann ein "Gratitude"
- mit viel Soul-Appeal in der Stimme - noch so sehr daran erinnern.
Also sehen wir ihm diese Rückkehr zu seinen musikalischen Beatles-Zeiten
nach, haben wir Verständnis dafür, dass er noch nicht auf
Großvaters mit kostbarem Stoff bezogenen Ohrensessel sitzen
will, der auf dem Cover von hinten und vorne abgebildet ist, und von
dem McCartney herunterrutscht, ein erstaunlich agil wirkender Mann
mit offenem Hemdkragen und dem fragend-zweifelnden Gesicht eines Jungen,
der es noch mal wissen will, der noch mal auf die Welt zuspringen
will, der dabei so überraschend schöne Petitessen wie die
swingende Dance-Hall-Ballade "That was me" vorträgt,
gefolgt von "Feet in the cloud", ein luftiger Song, der
irgendwie an "Fool in the hill" erinnert.
In
dieser Medley-Strecke, dem meiner Ansicht nach besten Teil des Albums,
steckt ein leiser Song mit dem programmatischen Titel "The end
of the end". Sollte das eine Ankündigung sein? Will Paul
McCartney mit der Starbucks-Geburtstagsaktion öffentlich seinen
Rücktritt zelebrieren, um sich als hochgeehrter Vater des Pop
aufs Altenteil zurückzuziehen? Ist seine Reise beendet?
Er
spricht hier ganz offen vom Tag, an dem er sterben wird, und von den
jokes, die er dann hören möchte, denn das Ende vom Ende
sei ja der "start of a journey to a much better play", es
gebe also keinen Grund zur Traurigkeit, er lässt sich - wie gehabt
- von Streichern begleiten und dann pfeift er lässig, beiläufig,
ein paar Noten, und diese paar Sekunden sind wohl das Beste, was er
auf "memory almost full" liefert, ein Abgang, der einem
der Größten unter den Komponisten des 20. Jahrhunderts
würdig ist, ein paar gepfiffene Töne, wunderbar leicht,
vergleichbar mit dem späten Picasso, der nur noch ein paar Linien
zeichnen musste, und alle Welt wusste, wer da die Hand erhoben hatte.
Wenn
Paul pfeift, und alle anderen Instrumente - die er ja fast alle selber
bedient - ruhen, dann ist dieser Beatle so alt und so jung, wie er
immer gewesen ist und wie er immer bleiben wird. Happy Birthday, Paul!
©
Hans Happel, Juni 2007