Als Fado-Sängerin hat Mariza mit nur drei Studioalben und zwei Konzertmitschnitten alles erreicht, was möglich erschien - mehr noch: Sie ist ein gefeierter Star in den bedeutendsten Konzerthäusern auf allen Kontinenten mit einer Musik, die vor ihr als angestaubt und betagt galt, außerhalb Portugals kaum verstanden wurde und zudem als hoffnungslos sentimental und rührselig galt. Einzig Amalia Rodrigues, der 1999 verstorbenen Ikone des Fado, von den Portugiesin als Nationalheilige verehrt, war vor ihr Vergleichbares gelungen.
Heute gilt Mariza als Rodrigues' legitime Nachfolgerin, als "Königin des Fado", und niemand, selbst ihre Kolleginnen nicht, macht ihr diesen Titel noch streitig. Doch für eine Künstlerin von Marizas Format ist der Fado ein zu enges Korsett. Und so begann sie schon früh, die sehnsüchtigen Balladen vergangener Jahre von der Patina zu befreien, ihre lebensfrohen Seiten zu entdecken (was ihrem eigenen Temperament viel mehr zu entsprechen scheint) und in sich in der Welt nach Möglichkeiten der Verknüpfungen umzusehen.
Bereits auf ihren bisher erschienenen Alben sind diese internationalen Einflüsse zu hören, zuletzt in der Zusammenarbeit mit dem brasilianischen Arrangeur und Cellisten Jacques Morelenbaum, der an ihrer Seite einen phänomenalen Auftritt in Lissabon begleitete ("Concerto em Lisboa", CD des Jahres 2006).
Für Mariza war dieser Auftritt wohl Glanz- und Schlusspunkt gleichermaßen - mehr kann man im Fado nicht erreichen. Jetzt ist sie frei, zu tun und zu lassen, was immer sie will. Und behutsam, aber zielstrebig, unterzieht sie die portugiesische Seele mit ihrem neuen Album "Terra" einer hochinteressanten Rundumerneuerung.
"Die 'saudade' war immer mein Begleiter", so eröffnet sie das Album, "und Ausdruck meiner Stimme (...), doch jetzt hat sie mich verlassen, meine Trauer ist beendet - sie verließ mich, als sie dich kommen sah".
Was auf diese Zeilen folgt, ist für die traditionsreichen Gesetze des Fado fast ein Umsturz, den sich wahrscheinlich keine zweite Sängerin erlauben dürfte. Schon in den zitierten Eröffnungstitel "Já me deixou" baut sie leise Percussions als Hintergrund-Rhythmus ein. Später wird der typische Klang der portugiesischen Gitarre ausgerechnet durch einer spanischen (!) Flamenco(!!)-Gitarre (Javier Limón) ergänzt (wunderbar: "Vozes do mar"), später folgt noch ein Duett mit der spanischen Sängerin Concha Buika ("Cosas pequenas"). So erhält Marizas Fado Stück für Stück neue, ungewöhnliche Klangfarben.
Schlagzeug (Horacio Hernandez) und Trompete (Carlos Sarduy) führen Fado und kapverdische Morna zusammen - "Beijo de saudade" ist ein Duett von Mariza mit dem kapverdischen Sänger Tito Paris, einem der wichtigsten Komponisten für Cesaria Evora. Ihr gemeinsamer Titel deutet darüber hinaus bereits an, was Mariza im Verlauf ihres Albums fortsetzt: die Verknüpfung zwischen Fado und Jazz.
Mit Chucho Valdéz bat sie einen der versiertesten Latinjazz-Pianisten um Unterstützung. Ausgerechnet "Fronteira" heißt der Titel, mit dem die beiden die Grenzen zwischen portugiesischer Folklore und Latinjazz niederreißen und ihre jeweilige - gesangliche und instrumentale - Virtuosität auskosten können. Besonders mutig klingt daher auch die von Carlos Sarduy (Trompete) und Ivan Lewis am Klavier begleitete Hommage an eine typische Bar im Lissabonner Hafenviertel Mouraria ("Tasco das Mouraria"), wo Mariza aufwuchs.
Und doch: Ihre Wurzeln verliert Mariza letztlich nie aus dem Blick. Trotz Morna, Flamenco und Cuban Jazz bleibt sie ihrem Thema, ihrer Seele, ihrer Stadt verbunden. Deshalb wird ihr das portugiesische Publikum treu ergeben bleiben, und international wird "Terra" ihren Ruhm mehren, zeigt die gerade 34-jährige Mariza doch, dass sie sich mit dem Erreichten nicht zufrieden geben wird und sich weiter neue Ziele setzen wird. Bis es soweit ist, geht sie mit "Terra" erst einmal wieder auf ausgedehnte Tournee in Europa, den USA und Kanada, erstmals mit der Überschrift: "Queen of Fado".