Der Gedanke, mit "Attitude & Orbit control" hätte nur eine weitere der inzwischen recht unüberschaubaren Riege schwedischer Jazz-Interpretinnen ein letztlich austauschbares Album vorgelegt, währt nur einen kurzen Moment. Genau genommen übersteht er noch nicht einmal den ersten Song der CD - obgleich "We would" tatsächlich eines der wenigen Stücke ist, bei denen Jeanette Lindström sich noch fest im Vocal Jazz verwurzelt zeigt. Doch schon hier mischt sich Unerwartetes in die sparsame, über lange Strecken nur durch ihren Gesang getragene Songführung: Es ist Robert Wyatt, einerseits Lichtgestalt der Experimentalmusik, andererseits aber auch sehr zurückgezogen lebend.
Für Jeanette Lindström erklärte sich Wyatt bereit, an einige ihrer Songs mit Hand anzulegen. Letztlich färbte sein Einfluss das gesamte Album; zudem fand sie in Magnus Öström, der bislang Schlagzeuger des Esbjörn Svensson Trio war, einen ähnlich aufgeschlossenen Produzenten. So ist "Attitude & Orbit Control" vor allem eines: Grenzgang zwischen Jazz, Electro, Rock und Ambient. Gleich das zweite Stück, das Flaming Lips-Cover "All we have is now" gibt diese Richtung vor, und das folgende "Morning" macht den eingeschlagenen Weg sozusagen unumkehrbar.
Über fast acht Minuten Länge breiten Lindström, Wyatt und Öström ihre Vision aus, zunächst als leises, verhalten vorgetragenes Duett (Lindström und Robert Wyatt), dann um düster aufblitzende Gitarren bzw. Bass (Andreas Hourdakis unt Thobias Gabrielsson) ergänzt. Was diesem fulminanten Einstieg folgt, sind unter anderem eine stimmgewaltige Ballade ("River"), das sakrale "Scenery/Scenery Postludium", dessen zweiten Teil ("Postludium") eine Kirchenorgel bestreitet, und anschließend "Blue room yellow tree", eine große Jazz-Ballade, bei der sich Lindströms Gesang wie Sonnenstrahlen durch einen Wolken verhangenen Himmel schieben. Robert Wyatt schließlich bekommt sogar noch einen ganz eigenen Auftritt: In "River" überlässt Lindström ihm den kompletten Gesang und beschränkt sich selbst auf die Begleitung am Fender Rhodes - bevor sie selbst im abschließenden "Spacewalk" in vollkommener Schwerelosigkeit aufzugehen scheint.
Gemeinsam mit ihren Begleitern ist es der Musikerin, die sämtliche Lieder übrigens selbst schrieb, gelungen, jedem Lied seine eigene, sehr dichte und ungemein wirkungsvolle Atmosphäre einzuhauchen. "Attitude & Orbit Control" lebt von diesem besonderen Gespür für die ganz besondere Stimmung und überzeugte wohl auch deshalb die Jury des schwedischen "Grammy", die "Attitude & Orbit Control" bei naturgemäß starker Konkurrenz zum schwedischen Jazz-Album des Jahres kürte.
©
Michael Frost, 27.03.2010