Als
Verantwortlicher des Bandprojekts "Nouvelle Vague" hat Olivier
Libaux bereits hinreichend unter Beweis gestellt, dass er in der Lage
ist, an sich gegenläufige Elemente zusammen zu fügen und daraus
etwas Neues entstehen zu lassen. Für Nouvelle Vague bedeutete dies,
die großen Wave-Songs der 80er Jahre neu einzuspielen, und zwar
mit akustischer Begleitung, zarter Frauenstimme und sanftem Bossanova-Rhythmus.
"Nouvelle Vague" schlug ein wie eine Bombe, doch damit hat
Libaux sein Pulver offenbar längst nicht verschossen.
Denn
nachdem er sich nun mehrere Jahre vorwiegend englischem Wavepop gewidmet
hat, zielt sein neues Projekt "Imbécile" direkt ins
Herz der französischen Chansonszene.
Er
gewann vier illustre Gäste für ein ungewöhnliches "Musical":
Héléna Noguerra,
schillernde Pop-Interpretin ("Née dans la nature")
mit ihrem Ehemann Philippe
Katerine, dem wohl schrägsten Vertreter des Nouvelle Chanson
("Robots après tout"), und, wohl als seriösen'
Ausgleich: Barbara Carlotti, eher eine Vertreterin des klassischen
Chansons, sowie JP Nataf, Gitarrist und Rockstar ("Les Innocents").
"Imbécile"
hat im Französischen mehrere Bedeutungen. Am häufigsten
hört man das Wort aus dem Munde wütender Autofahrer, die
damit andere Verkehrsteilnehmer titulieren. In Libaux' Musical geht
es allerdings eher darum, sich nicht blenden zu lassen, sich dem Leben
und seinen Lügen zu stellen; folglich darum, Schluss zu machen
"mit der Verklärung und dem Selbstbetrug" (Pressetext).
Der
Plot zum Sujet ist simpel und folgt den Grundzügen französischer
Filmkunst, wonach die Dramatik weniger durch die Handlung als viel
mehr durch die Interaktion der Figuren entsteht. Zwei langjährig
befreundete Ehepaare treffen sich an einem Sommerabend in einem Haus
am Meer. Nach und nach entwickelt sich ein offenes, ehrliches und
schonungslos geführtes Gespräch über die eigenen Lebenslügen.
In
dreizehn Titeln entblättern die Protagonisten ihr Seelenleben,
unterstützt von einem überschaubaren Ensemble akustischer
Instrumente: Gitarre, Kontrabass, Schlagzeug, Klavier, Geige - streckenweise
begleitet von einem lettischen Symphonieorchester.
Schon
die beiden bisher veröffentlichten Nouvelle Vague-CDs darf man
getrost als Konzeptalben begreifen. Doch mit "Imbécile"
erfährt der Begriff eine erweiterte Definition. Musik, die wie
ein Kinofilm funktioniert und in der Verdichtung die Geschichte vierer
(und damit ein Stück weit unser aller) Leben erzählt - so
komplex kann Popmusik sein.
©
Michael Frost, 29.07.2007