Wenn Lhasa mit ihrer Musik schon immer zwischen den Stühlen saß, dann ist der Abstand zwischen den Sitzmöbeln mit ihrem dritten, selbstbetitelten Album nochmals größer geworden. Was 1998 als unberechenbarer Stilmix aus mexikanischen Bläsern, lateinamerikanischen Rhythmen, amerikanischem Folk und französischem Chanson mit einem Timbre zwischen Lila Downs und Billie Holiday begann, hat inzwischen ein nicht mehr zuzuordnendes Eigenleben entwickelt.
Lhasa im Jahr 2009 ist eine englischsprachige Sängerin, die sich zwar gelegentlich einer Countrygitarre bedient ("Is anything wrong"), dadurch jedoch noch längst nicht zur Countrysängerin wird, ebenso, wie der Einsatz einer Harfe sie nicht zum frohlockenden Balladenengel stilisiert. Auch die Texte drücken immer wieder die Widersprüchlichkeit ihres Schaffens aus: "I was rising up // hitting the ground", heißt es etwa in "Rising", und in "Love came here" beschreibt sie einen Zustand, der bei jedem anderen Menschen zur absoluten Glückseligkeit führen würde, mit blueslastiger Trauermiene: "Love came here // and never left ..."
Selbst die Zeichnungen im Booklet spiegeln die Ambivalenz, wenn sich zwei Kreaturen, jeweils mit menschlichen Unterkörpern, aber mit dem Torso und den Köpfen verschiedener Tiere - darunter Katze, Hirsch, Schwan, Fuchs, Hase und Zebra - im innigen Paartanz vereinen.
So lebt Lhasa mit ihrer Musik in einer ansonsten verborgenen Fabelwelt, in der Fische an Land leben ("A fish on land") und Spinnen darauf hoffen, das sich das Glück in ihrem Netz verfängt ("The lonely spider"). Lhasa erzählt diese Stimme mit ihrer fast stoischen, festen, tief unter die Haut gehenden Stimme, in der so viel mehr an Stimmung und Gefühl mitschwingt, als Worte dies tun könnten. Die mexikanischen Bläser, die Latino-Rhythmen, überhaupt alles, was mit Tempo, Effekten und Vordergründigkeit zu tun hat, all dies empfindet sie inzwischen als überflüssigen Ballast. Ihre Songs leben folglich allein von der Intensität ihrer Aura, und die ist gewaltig.
© Michael Frost, 29.08.2009