"Back
to the roots" möchte man sagen, wenn man diese Aufnahmen
hört, aber ist es die angemessene Beschreibung für den Weg,
den Nils Landgren mit seinem neuen Album CREOLE LOVE CALL geht? Die
Wurzeln des schwedischen Posaunisten liegen schließlich in einer
schwedischen Steeltown und damit denkbar weit entfernt von der Stadt,
die er selber als "Heart of Jazz" bezeichnet.
Landgren
spricht - in den Linernotes - von New Orleans, wo er im Mai letzten
Jahres 12 Titel aufgenommen hat, in denen Nostalgie und Vitalität
sich gegenseitig beflügeln. Und dennoch bedeutet diese Musik
auch für den schwedischen Jazzer ein Zurück zu den Wurzeln.
Denn es war sein Vater, der in den 50-er Jahren mit der eigenen Band
im Wohnzimmer probte, während der 4-jährige Nils auf der
Couch sass.
Damals
- erzählt er - sei er mit all den stampfenden, groovenden, heftig
swingenden Sachen aufgewachsen, die von Größen wie Louis
Armstrong, King Oliver oder Duke Ellington beeinflusst waren. "Listen
to the music, son, its the real stuff", habe Dad immer zu ihm
gesagt und ihm seine Shellak-Platten vorgespielt. Und auf diese Weise
habe er zum ersten mal CREOLE LOVE CALL gehört, und zwar nicht
begriffen, aber empfunden, worum es ging: Um "pure Magie".
Duke
Ellingtons erste Plattenaufnahme ist noch älter als Nils Landgrens
Mitstreiter bei dieser Rückeroberung - oder sollen wir es Landnahme
nennen? -, zu der die beiden mit weiteren Musikern sich im letzten
Jahr getroffen haben.
Der
Pianist Joe Sample, Jahrgang 1939, war 1960 Mitbegründer und
Keyboarder der legendären Crusaders, die vor allem in den 70-ern
ebenso erfolgreich wie musikalisch intelligent Jazz mit Pop und Funk
fusioniert hat. Wenn der farbige Musiker die Finger über Klavier
oder Fender Rhodes gleiten lässt, dann spürt man die nur
schwer zu bremsende Energie und man meint das knallige Honky Tonk
Piano irgendwelcher düsterer Kaschemmen zu hören, das den
Rhythmus ebenso mitbestimmt wie die kräftigen drums von Raymond
Weber und Lenny Castros lockere percussion. Diese Musik ist im besten
Sinne populär, und sie geht so ins Blut, dass man anfangen möchte
sich zu ihr zu bewegen oder einfach mitzusingen.
Ganz
bestimmt hat der unvergessene Otis Redding den Soul-Hit DOCK OF THE
BAY authentischer gesungen als Nils Landgren (hier im Duett mit Ray
Parker jr.), aber was macht das schon angesichts der Lebensfreude,
mit der hier musiziert wird. Landgrens helle, leicht angerauhte Stimme
ist erstaunlich schwarz und wenn er im Duett mit Charmaine Neville
- aus dem Clan der Neville-Brothers - Allen Toussaints Klassiker WITH
YOU IN MIND vorträgt, dann klingt er tatsächlich wie ein
Neville-Bruder.
Diese
Aufnahmen haben etwas sehr Brüderliches: Die Musiker, die sich
im Mai letzten Jahres - vor der großen Flut - getroffen haben,
jammen mit größter Lust und Laune. Sie sind keine Puristen,
sie mixen unbekümmert den 70-er Jahre-Elektro-Funk der Crusaders
mit einem 60-Woodstock-Klassiker von Crosby, Stills, Nash&Young
(LOVE THE ONE YOU´RE WITH), um mit den letzten beiden Songs
im New Orleans der 20-er Jahre einzuziehen: Joe Samples SAME OLD SONG
ist ein deftiges Mitsing-Lied mit Dixieland-Appeal, und das finale
CREOLE LOVE CALL hat so viel authentische Färbung wie nur möglich,
denn hier lassen sie sich begleiten von der Piety Street Brass Band
und man sieht sie förmlich durch die Strassen von New Orleans
ziehen, der Stadt, von der Landgrens Vater immer geträumt hatte,
die sein Sohn jetzt besuchen konnte, um dort die Musik zu machen,
mit der er selber aufgewachsen ist. Der Weg ist eindeutig: Back to
the roots.
CREOLE
LOVE CALL erscheint zu einem Zeitpunkt, wo die Bewohner der verwüsteten
Stadt trotz allem ihren Karneval an Mardi Gras feiern, wo sie ihre
same old songs aufspielen, und wenn die gestopften Trompeten und Posaunen
der Piety Street Brass Band ganz melancholisch und swingend zugleich
den CREOLE LOVE CALL-Blues blasen, dann machen sie glauben, dass diese
Stadt wieder anfängt zu leben.
©
Hans Happel, 03. März 2006