An
einer Stelle in dem Abba-Dokumentarfilm "The Winner takes it all"
analysiert ein Musikkritiker sinngemäß, Abba würde klingen,
"als ob Amerika nie entdeckt worden wäre". In der Musik
der Schweden, so der Experte, gebe es keine Anklänge von Jazz,
Blues, Funk oder Soul - an sich gängige Rhythmen in der populären
Musik beiderseits des Atlantiks. Nicht so bei Abba, die vielleicht deshalb
als Begründer des "Europop" gelten - und bis heute dessen
wichtigste Vertreter sind.
Vielleicht
war es diese Aussage, die den Jazz-Posaunist Nils Landgren herausforderte.
Landgren ist nicht nur Landsmann des schwedischen Quartetts, sondern
auch ein langjähriger Freund von Abba-Mitglied Benny Andersson.
Der wiederum hatte Landgren 1979 sogar als Gastmusiker für die
Aufnahmen des Abba-Albums "Voulez-Vous" verpflichtet.
Nils
Landgren seinerseits unterhält seit einigen Jahren neben seinen
Jazz-Verpflichtungen ein Side-Projekt mit anderen Musikern, die "Funk
Unit", und mit diesen Kollegen plante er sozusagen die Quadratur
des Kreises: "Funky Abba", eine Platte mit dreizehn Abba-Kompositionen,
darunter "Super Trouper" und "Dancing Queen".
Aus perfekten und lupenreinen Popsongs sollten groovende Funk-Stücke
werden. Ob das überhaupt möglich sei, habe selbst Benny
gezweifelt, als Landgren ihm von der Idee erzählte.
Nun:
Es ist möglich. Aufgenommen an historischer Stelle, nämlich
den 1978 von Abba selbst gegründeten Polar-Studios in Stockholm,
ist "Funky Abba" inzwischen auf dem Markt, und das Ergebnis
übersteigt sogar die Erwartungen. Wer hätte gedacht, dass
man Abba-Texte auch rappen kann? Magnum Coltrane Price jedenfalls
kann.
Gemeinsam
mit Henrik janson (Gitarre), Jesper Nordenström und Roberto di
Gioia (Keyboards), Lars DK Danielsson (Bass), Wolfgang Haffner und
Per Lindvall (Drums) und Karl-Martin Almqvist werden die im Schnitt
fünfundzwanzig Jahre alten Songs "getunt", erhalten
sie eine relaxte Coolness, die aus den Originalversionen nie herauszuhören
war.
Zugegeben:
An manchen Stellen mussten die Vorlagen recht stark bearbeitet werden,
um den Ansprüchen Landgrens und seiner Funk Unit zu genügen.
"SOS" etwa, einer der frühen Abba-Hits von 1975, ist
kaum noch wiederzuerkennen, und auch "Money, Money, Money"
(1976) wurde gewissermaßen "dekonstruiert" - zerlegt
und völlig neu zusammengesetzt. Doch nicht alle Songs wurden
einer solchen Radikalkur unterzogen. Sowohl "Voulez-Vous"
als auch "Summer night city" trugen vielleicht doch schon
im Original mehr Soul & Funk in sich als man ihnen anhörte,
und ein besonderes Highlight ist sicherlich "Thank you for the
music", von Landgren selbst mit rauer Stimme in eine melancholische
Blues-Ballade verwandelt - hier leuchtet ein Klassiker in völlig
ungewohntem, aber nicht weniger strahlendem Glanz.
Gastmusiker
wie der Deutsche Till Brönner (Trompete) und die junge schwedische
Jazz-Interpretin Viktoria Tolstoy setzen den i-Punkt dieser eigenwilligen
und sehr mutigen Produktion. Zum Abschluss gibt es dann sogar noch
einen zusätzlichen Höhepunkt: Viktoria Tolstoy singt mit
beeindruckendem Feeling die traurige Ballade "When all is said
and done" allein mit Klavierbegleitung. Das Klavier spielt kein
Geringerer als der Komponist selbst: Benny Andersson, der offenbar
wirklich neugierig war, ob es seinem Freund Nils Landgren wirklich
gelingen würde, Amerika in den Abba-Songs zu entdecken.
©
Michael Frost, 18. April 2004