Diana
Krall hat diese eigenartig schleppende Stimme, die den Hörer
ganz verrückt machen kann: eine Nuance rauchig, aber
nicht verräuchert, dunkel, aber nicht düster, leicht
swingend und sexy, aber niemals sentimental oder schwül.
Sie ist seit fünf Jahren - seit ihrem Grammy-gekrönten
Album WHEN I LOOK IN YOUR EYES - eine der weltweit populärsten
Stimmen im Jazz, und jetzt hat sie ein neues Album vorgelegt,
mit dem sie sich von alten Fesseln lösen will, und dem
sie deshalb den programmatischen Titel "The Girl in the
other room" gibt.
Sowohl biografisch als auch musikalisch hat die kanadische
Pianistin und Sängerin einen anderen Raum betreten. Natürlich
bleibt ihre Stimme unverkennbar die alte, aber sie klingt
auch anders: reifer, gefühlvoller, ausdrucksstärker.
Das ist nicht mehr die "kühle Blonde", die
in der Jazz-Lounge mit äußerster Eleganz für
angenehme Abendstimmung sorgt.
Diana
Krall hat sich vom Great American Songbook, vom sanften Bossa
Nova-Sound und von zarten Streicherklängen verabschiedet.
Sie bekennt sich zu einfachstem Rhythm&Blues, zu den großen
Poeten unter den Songschreibern, zu Joni Mitchell und Tom
Waits, sie bekennt sich vor allem zu Elvis Costello und zu
sich selbst, denn die beiden sind seit Ende letzten Jahres
verheiratet, und beide haben sechs der 12 Songs dieses Albums
gemeinsam geschrieben.
The
Girl In The Other Room ist Diana Kralls Antwort auf Elvis
Costellos letztes Album "North", in dem der 50-jährige
aus tiefer Dunkelheit heraustritt und mit der zarten Poesie
und den zerbrechlichen Posen des jungen Mannes seine "neue
Flamme" besingt. YOU BRIGHTEN UP MY DARKEST GAZE gestand
er ihr und jetzt antwortet Diana Krall mit einem Dutzend Songs,
die mindestens so herzzerreißend schön klingen
wie die Songs in Costellos nördlicher Winterreise.
Die
Lieder lassen teilweise den Komponisten Costello durchscheinen,
aber was Diana Krall daraus macht, ist von einer heiteren
Melancholie, mit der diese Frau sich nicht als Pendant des
Mannes ausgibt, sondern als ebenbürtige Partnerin, die
musikalisch ihren eigenen Tonfall ins Spiel bringt.
Das
beginnt mit der ironischen Mose Allison-Nummer STOP THIS WORLD,
einem Blues, den Diana Krall und ihre exzellenten Begleitmusiker
so straight wie möglich spielen. Der souverän zwischen
allen Stilrichtungen balancierende Peter Erskine sitzt bei
der Mehrzahl der Aufnahmen an den Drums und er sorgt ebenso
wie Terry Lynne Carrington - beim Tom-Waits-Song TEMPTATION
- für jene diskreten und filigranen Rhythmus-Linien,
die sich nie in den Vordergrund drängeln, aber sensibel
Akzente setzen.
Das
gilt ebenso für die beiden wechselnden Bassisten John
Clayton und Christian McBride. Mit Anthony Wilson an der Gitarre
ist hier ein stimmig aufeinander eingespieltes Quartett zu
hören, in dem eine entspannt swingende Diana Krall am
Piano niemals zur Solistin wird.
Ihre
Zwischenspiele bleiben bescheiden minimalistisch, ihre Lieder
bleiben liedhaft: den herausragenden Klassikern von Tom Waits
(TEMPTATION), Elvis Costello (ALMOST BLUE) und Joni Mitchell
(BLACK CROW) mögen die eigenen Songs musikalisch kaum
stand zu halten, aber sie vermitteln in ihren eingängig
schönen Liedformeln und mehr noch in dem, was sie erzählen,
eine Wärme und Lebendigkeit, die dieser Musik etwas radikal
Ehrliches und Authentisches geben.
Diana
Krall versteckt nicht die schweren persönlichen Verluste
der letzten Jahre. Im ergreifend ohrwürmigen Schlusslied
DEPARTUE BAY spannt die 40-jährige den Bogen vom ersten
Weihnachtsfest mit der Familie nach dem Tod ihrer Mutter bis
zur Heimfahrt zu ihrer neuen großen Liebe, ihrem Ehemann
Elvis Costello.
Ja,
das ist Pop-Musik in allerbester Qualität, aber daraus
spricht etwas anderes als konventionelle romantische Gefühligkeit,
daraus spricht eine Frau, deren Stimme und deren Lieder wirklich
anrühren. Der intime Ton ihrer Stimme erinnert überraschend
an eine andere Vokalistin, deren Kunst ebenfalls in der starken
Intimität liegt: Cassandra Wilson.
Die
schwarze und die weiße Stimme des Jazz, sonst so weit
voneinander entfernt sind, berühren sich plötzlich.
Ja, das "Girl" ist in einem "anderen Raum"
angekommen oder, wie der Titel eines anderen Krall/Costello-Songs
heißt: I´VE CHANGED MY ADDRESS.
So
eingängig diese Songs vom ersten Hören an sind,
mit ihrer atemberaubenden Einfachheit und ihrer kammer-musikalischen
Durchsichtigkeit entwickelt Diana Krall hier eine Verführungskraft,
die zunimmt, je öfter man ihr zuhört.
©
Hans Happel, 23. April 2004