.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Suchen nach:
In Partnerschaft mit Amazon.de

Kraft der Verführung
von Hans Happel


Diana Krall hat diese eigenartig schleppende Stimme, die den Hörer ganz verrückt machen kann: eine Nuance rauchig, aber nicht verräuchert, dunkel, aber nicht düster, leicht swingend und sexy, aber niemals sentimental oder schwül. Sie ist seit fünf Jahren - seit ihrem Grammy-gekrönten Album WHEN I LOOK IN YOUR EYES - eine der weltweit populärsten Stimmen im Jazz, und jetzt hat sie ein neues Album vorgelegt, mit dem sie sich von alten Fesseln lösen will, und dem sie deshalb den programmatischen Titel "The Girl in the other room" gibt.

Sowohl biografisch als auch musikalisch hat die kanadische Pianistin und Sängerin einen anderen Raum betreten. Natürlich bleibt ihre Stimme unverkennbar die alte, aber sie klingt auch anders: reifer, gefühlvoller, ausdrucksstärker. Das ist nicht mehr die "kühle Blonde", die in der Jazz-Lounge mit äußerster Eleganz für angenehme Abendstimmung sorgt.

Diana Krall hat sich vom Great American Songbook, vom sanften Bossa Nova-Sound und von zarten Streicherklängen verabschiedet. Sie bekennt sich zu einfachstem Rhythm&Blues, zu den großen Poeten unter den Songschreibern, zu Joni Mitchell und Tom Waits, sie bekennt sich vor allem zu Elvis Costello und zu sich selbst, denn die beiden sind seit Ende letzten Jahres verheiratet, und beide haben sechs der 12 Songs dieses Albums gemeinsam geschrieben.

The Girl In The Other Room ist Diana Kralls Antwort auf Elvis Costellos letztes Album "North", in dem der 50-jährige aus tiefer Dunkelheit heraustritt und mit der zarten Poesie und den zerbrechlichen Posen des jungen Mannes seine "neue Flamme" besingt. YOU BRIGHTEN UP MY DARKEST GAZE gestand er ihr und jetzt antwortet Diana Krall mit einem Dutzend Songs, die mindestens so herzzerreißend schön klingen wie die Songs in Costellos nördlicher Winterreise.

Die Lieder lassen teilweise den Komponisten Costello durchscheinen, aber was Diana Krall daraus macht, ist von einer heiteren Melancholie, mit der diese Frau sich nicht als Pendant des Mannes ausgibt, sondern als ebenbürtige Partnerin, die musikalisch ihren eigenen Tonfall ins Spiel bringt.

Das beginnt mit der ironischen Mose Allison-Nummer STOP THIS WORLD, einem Blues, den Diana Krall und ihre exzellenten Begleitmusiker so straight wie möglich spielen. Der souverän zwischen allen Stilrichtungen balancierende Peter Erskine sitzt bei der Mehrzahl der Aufnahmen an den Drums und er sorgt ebenso wie Terry Lynne Carrington - beim Tom-Waits-Song TEMPTATION - für jene diskreten und filigranen Rhythmus-Linien, die sich nie in den Vordergrund drängeln, aber sensibel Akzente setzen.

Das gilt ebenso für die beiden wechselnden Bassisten John Clayton und Christian McBride. Mit Anthony Wilson an der Gitarre ist hier ein stimmig aufeinander eingespieltes Quartett zu hören, in dem eine entspannt swingende Diana Krall am Piano niemals zur Solistin wird.

Ihre Zwischenspiele bleiben bescheiden minimalistisch, ihre Lieder bleiben liedhaft: den herausragenden Klassikern von Tom Waits (TEMPTATION), Elvis Costello (ALMOST BLUE) und Joni Mitchell (BLACK CROW) mögen die eigenen Songs musikalisch kaum stand zu halten, aber sie vermitteln in ihren eingängig schönen Liedformeln und mehr noch in dem, was sie erzählen, eine Wärme und Lebendigkeit, die dieser Musik etwas radikal Ehrliches und Authentisches geben.

Diana Krall versteckt nicht die schweren persönlichen Verluste der letzten Jahre. Im ergreifend ohrwürmigen Schlusslied DEPARTUE BAY spannt die 40-jährige den Bogen vom ersten Weihnachtsfest mit der Familie nach dem Tod ihrer Mutter bis zur Heimfahrt zu ihrer neuen großen Liebe, ihrem Ehemann Elvis Costello.

Ja, das ist Pop-Musik in allerbester Qualität, aber daraus spricht etwas anderes als konventionelle romantische Gefühligkeit, daraus spricht eine Frau, deren Stimme und deren Lieder wirklich anrühren. Der intime Ton ihrer Stimme erinnert überraschend an eine andere Vokalistin, deren Kunst ebenfalls in der starken Intimität liegt: Cassandra Wilson.

Die schwarze und die weiße Stimme des Jazz, sonst so weit voneinander entfernt sind, berühren sich plötzlich. Ja, das "Girl" ist in einem "anderen Raum" angekommen oder, wie der Titel eines anderen Krall/Costello-Songs heißt: I´VE CHANGED MY ADDRESS.

So eingängig diese Songs vom ersten Hören an sind, mit ihrer atemberaubenden Einfachheit und ihrer kammer-musikalischen Durchsichtigkeit entwickelt Diana Krall hier eine Verführungskraft, die zunimmt, je öfter man ihr zuhört.

© Hans Happel, 23. April 2004

Weitere Beiträge von Hans Happel


[Archiv] [Up]