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Klassisch-romantische Tonsprache

 

Schon mit 19 Jahren schrieb er Jazz-Geschichte, als er zusammen mit dem Pianisten Lennie Tristano zu den Wegweisern der Cool-Schule gehörte. In den folgenden Jahrzehnten spielte er als Studiomusiker in unterschiedlichsten Formationen mit allen Größen des Jazz zusammen, gab weltweit Konzerte und arbeitete immer wieder als Hochschullehrer. Im März 2009 hat sich Altsaxophonist Lee Konitz noch einmal in den Tempel der Jazz-Musik gewagt, um im Zusammenspiel mit dem Trio Minsarah seine große Kunst live zu entfalten.

Was der 82-jährige hier bietet, ist phänomenal: Im Kellergewölbe des intimen New Yorker „Village Vanguard“ spannen Konitz und die Musiker um den deutschen Pianisten Florian Weber einen Bogen von den 50-er Jahren bis in die Gegenwart, sie wischen alles Museale beiseite und verbinden in geradezu beiläufiger Eleganz die Tradition des Modern Jazz, seine Bebop- und Cool-Jazz-Farben, mit einer aktuellen europäisch-klassischen Tonsprache.

Die ersten Takte des Alt-Meisters klingen so vorsichtig wie eine Selbstbefragung, als wolle Konitz auf dem uralten, lange nicht genutzten Instrument, mit dem er Ende der 40-er Jahre Tristano begleitete, ein wenig üben, aber dann legt er los, wie befreit. Er stürzt sich zurück in jene frühen Tage, in denen ein neuer Wind im Jazz einzog und die Konventionen wegblies. Florian Weber mit seinen Sidemen Jeff Denson (Bass) und Ziv Ravitz (drums) – allesamt Absolventen der renommierten Berklee Scool of Music in Boston - folgen ihm nicht nur als kongeniale Begleiter, sie setzen eigene Akzente, sie binden den Altmeister an die Gegenwart. Konitz warmer Ton und seine lyrisch angelegten Improvisationen kommen den jungen Musikern dabei sehr entgegen.

Unter die sieben – bis zu 11 Minuten langen – Stücke des Live-Albums reiht sich Florian Webers Komposition „Color“ fast bruchlos ein. Die beiden haben sich in Köln kennen gelernt, wo Konitz fast 20 Jahre lang lebte, bis er in die USA zurückzog.

Florian Weber sieht sich mit dem Etikett Jazz-Pianist ungern konfrontiert. Als Komponist und Musiker, der u.a. Orchesterstücke, Streichquartette und Bach-Variationen schreibt, liegen seine Wurzeln in der europäischen Tradition. Im „Village Vanguard“ greift er Lee Konitz sanft geschwungene Bebop-Wellen lässig auf, um sie filigran in eine klassisch-romantische Tonsprache zu integrieren.

Während Bassist und Drummer dem Altmeister in grundierenden Formen melodisch-rhythmisch folgen, um gelegentlich in überraschende Improvisationen auszubrechen, lassen sich Konitz und Weber auf eine ebenso zärtliche wie kontrastreiche Zwiesprache ein, die den alten Melodien, den Konitz-Standards, etwas Neues hinzufügt.

Der Klang dieses „New Quartett“ ist so dicht und intensiv, so gelassen und weise, aber auch so unmittelbar und ehrlich, wie er wohl nur in der engen und inspirierenden Atmosphäre dieses einmaligen Konzertraums entstehen kann.

Lee Konitz New Quartett – Live At The Village Vanguard – dürfte zu den wichtigsten und zu den schönsten Neuerscheinungen des Jahres gehören.

© Hans Happel, 28.03.2010


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