Begeisterung und
Dankbarkeit

Vor zwanzig Jahren fanden sich "The Klezmatics" als Band in New York. Das ehrgeizige Ziel der vielköpfigen Kombo war, Klezmer, diese altehrwürdige jüdische Musiktradition, auf eine neue, zeitgenössische Weise interpretieren. Also begann man, die traditionellerweise von der Klarinette getragenen Lieder mit anderen Stilen zu kombinieren - mit durchschlagendem Erfolg.

Heute reicht die Bandbreite der Klezmatics von Polka bis zum Punk. Folk, Gypsybrass, orientalisch anmutendem Tanz, Tango, Jazz und Gospel - von überall her kommen die Zutaten für ihre wilde, unberechenbare und spielwütige Klezmer-Vision: Die Klezmatics sind, schon jedes Mitglied für sich, Meister ihres Instruments, und als Ensemble absolut umwerfend.

Die Zahl der eingesetzten Instrumente ist ebenso unüberschaubar wie die der Bandmitglieder. Aktuell verzeichnet das Lineup neun Mitglieder - und zwanzig Gäste, die in den vergangenen Jahren an den Aufnahmen beteiligt waren, die nun für "Tuml = Lebn", ein "Best of the first 20 Years"-Album, zusammengestellt wurden.

Dieser Querschnitt beinhaltet letztlich alles, was die Musik der Klezmatics so groß - und großartig - macht: Denn bei allem Interesse für den Stilmix zieht sich der Respekt vor der jüdischen Musikkultur als roter Faden durch die Jahre. Es überwiegend die rasend schnell gespielten Tänze, doch man sollte sich Zeit und Muße gönnen, auch ihren leisen, mit Wehmut und großer Liebe zum Detail vorgetragenen jiddischen Liedern zuzuhören. In ihnen entdeckt vor allem das deutsche Publikum, das den Klezmatics von Beginn an besonders zugewandt war (ihr erster Auslandsauftritt führte die New Yorker 1988 nach Berlin), seine eigene Geschichte. Klezmer ist Teil der deutschen und europäischen Musikkultur, die mit dem Völkermord durch den Nationalsozialismus fast ausgerottet wurde.

So besteht in Deutschland neben der Begeisterung für diese mit Verve und Inbrunst vorgetragene Musik auch Anlass zur Dankbarkeit, dafür, dass Bands wie die Klezmatics den Klezmer in seine Herkunftsorte zurücktragen.

"Tuml = Leben", diese Compilation mit ihrem programmatischen Titel, bietet den perfekten Anlass, sich mit dieser Musik zu beschäftigen. Und wer weiß: Nach weiteren zwanzig Jahren ist Klezmer vielleicht schon wieder ein etablierter Musikstil in der deutschen und mitteleuropäischen Kultur - so wie in vier Jahrhunderten vor dem Holocaust.

 

© Michael Frost, 19.10.2008