... und das eines Rezensenten erst recht. Es bietet ihm nämlich dann und wann die Chance, die Arbeit so sonderbarer Jugendlicher wie Kitty, Daisy und Lewis Durham aus London kennen zu lernen.
Die Durhams sind fünfzehn, achtzehn und siebzehn Jahre "alte" (so heißt es nun einmal) Geschwister, und alt dürfte die Musik, die sie machen, selbst ihren eigenen Eltern vorkommen, denn die müssten mit der Musik irgendwo zwischen Abba und Madonna groß geworden sein und die Erfindung von CD und Fernbedienung noch als Meilenstein und Triumpf über das Knistern und Kratzen und das ständige Umdrehen der Lieblingsschallplatte gefeiert haben.
Ganz anders als ihre Kinder Kitty, Daisy und Lewis. Denn die drei jungen Durhams haben in ihrer Begeisterung für die Retro-Welle einfach eine Generation übersprungen und sind ausgerechnet im Rockabilly und Jump-Blues ihrer Großeltern-Generation gelandet, und zwar so tief, dass man kaum glauben möchte, dass ihr selbst betiteltes Debütalbum gerade eben erst, und nicht schon vor einem halben Jahrhundert aufgenommen wurde. Sie spielen diese Musik nicht, sie leben sie. Lewis lernte sogar die Fertigungstechnik von Schellackplatten. Und so klingt dann auch ihre CD: Ob sie die digitale Revolution der letzten Jahre nun komplett ignorieren oder sie aber so geschickt einsetzen, dass alles nur so klingt "als ob"; das Ergebnis ist ein fulminanter Ritt durch die US-Musikgeschichte in der Mitte des 20. Jahrhunderts, eine Reise durch Tennessee, Lousiana, Georgia und Hawaii.
Elvis mit Blütenkette und schrill-buntem Hemd, die unbezahlbaren goldenen Ringe an den nochmals wertvolleren Fingern des großen R&B-Pianisten Fats Domino, der Bahn brechende Soul eines für seine Musik brennenden Ray Charles und der kokette Augenaufschlag seines Begleitchors "The Raelettes", oder aber auch die namenlose Saloon-Band eines x-beliebigen Nests entlang des Mississippi - und zwar jeweils in der ursprünglichen, unverfälschten Form einer Probe oder Jam-Session - so ungefähr klingen Kitty, Daisy & Lewis auf ihrem sehr, sehr ungewöhnlichen Album.
Und, so ergänzt die stolze Plattenfirma mit dem schönen Namen "Sunday Best", alles, aber auch alles habe die Band selber aufgenommen: "Alle Gretsch-Gitarren, Klaviere, Lap Steel Guitars und Mundharmonikas, alle Kontrabässe, Ukulelen und Posaunen." Bloß live, schließlich können ja selbst diese Drei nicht alles gleichzeitig spielen (obwohl, man würde ihnen sogar das zutrauen) werden Kitty, Daisy & Lewis schon mal von Vater und Mutter Durham unterstützt. Die haben also wohl doch nicht nur Madonna gehört, sie sollen ihre Kinder sogar erst auf den Geschmack gebracht haben. Und spätestens jetzt ist sicher sowieso die ganze Familie im Rockabilly-Fieber, getreu dem Motto des Album-Openers "Going up the country": "I'm going where the water tastes like wine // We can jump in the water, stay drunk all the time". Yeah! Das Leben ist schön!
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Michael Frost, 13.08.2008